Automatisierungssysteme in der Apotheke – Pro und Contra der 24-stündigen Medikamentenversorgung
Ein paar Münzen in den Automaten geworfen und schon öffnet sich eine Klappe im Inneren des Gerätes und man hat es in Händen, das Grillfleisch. Wie anderenorts Getränkepäckchen aus 24-Stunden-Automaten auf Knopfdruck bereitgestellt werden, bietet ein Ruhrgebiets-Bauer auf seinem Hof all das an, was auf den Grill gehört. Zugegeben, eine besonders innovative und vor allem einmalige Idee, doch fest steht, Automatisierungssysteme erleichtern vieles und sind aus vielen Zweigen des Wirtschaftslebens nicht mehr wegzudenken.
Man stelle sich vor, wir wären plötzlich wieder an die banküblichen Öffnungszeiten gebunden, um Geld abzuheben oder Überweisungen auszuführen; keine schöne Vorstellung. Auch die Raucher unter uns werden kaum Freudensprünge machen, sollten die allgegenwärtigen Zigarettenautomaten aus dem Straßenbild verschwinden. Maschinen, die auf Anforderung eine Ware ausgeben oder einfache Dienstleistungen vollbringen, wie Geld-, Spiel-, Foto- und Verkaufsautomaten, sind praktisch, dies wird wohl niemand ernsthaft verneinen wollen.
Auch im Apothekensektor sind die Vorteile der 24-Stunden-Automaten nicht unbemerkt geblieben. So verspricht ein Hersteller von Beratungs- und Abgabeterminals für Medikamente „Gesundheit rund um die Uhr". Die Rechtsprechung zeigt, dass derartige Systeme auch (Rechts-)Streitereien rund um die Uhr bedeuten können. Was also spricht für oder gegen derartige Systeme in der Apotheke?
I. Das Konzept
Beratungs- und Abgabeterminals für Medikamente sind - ähnlich wie beispielsweise Geldautomaten - in die Außenmauer der Apotheke eingelassen und können so von Apothekenkunden rund um die Uhr genutzt werden. Der Kunde sucht über eine Menüführung das gewünschte Präparat aus und legt es in den Warenkorb. Bezahlt wird in bar oder mit EC- bzw. Kreditkarte. Der Patient erhält einen Beleg, der auch Einnahmehinweise enthalten kann.
Will der Kunde ein Rezept einlösen, so ist auch dies grundsätzlich möglich. In einem solchen Fall kann er sich über das Terminal direkt mit dem Apotheker verbinden lassen. Über eine Webcam-Verbindung kann sich der Kunde so durch den Apotheker beraten lassen. Über einen Rezeptscanner kann der Apotheker das Rezept einsehen und bearbeiten und dem Kunden so auch rezeptpflichtige Präparate aushändigen, ohne selbst vor Ort sein zu müssen.
II. Rechtliche Hindernisse
Diese Ortsabwesenheit des Apothekers stellt nach den Erkenntnissen der bisher ergangenen Rechtsprechung zugleich eines der größten rechtlichen Hindernisse des Automatensystems dar.
1. Abgabe verschreibungspflichtiger / verschriebener Medikamente
Nach § 17 Abs. 6 der Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO) sind bei der Abgabe der Arzneimittel auf der Verschreibung oder im Falle der Verschreibung in elektronischer Form auf der elektronischen Verschreibung der Name oder die Firma des Inhabers der Apotheke und deren Anschrift, das Namenszeichen des Apothekers, des Apothekerassistenten, des Pharmazieingenieurs oder des Apothekenassistenten, der das Arzneimittel abgegeben, oder des Apothekers, der die Abgabe beaufsichtigt hat, das Datum der Abgabe, der Preis des Arzneimittels sowie das bundeseinheitliche Kennzeichen für das abgegebene Fertigarzneimittel, anzugeben.
Die Mehrzahl der bislang mit den Automatisierungssystemen befassten Gerichte geht davon aus, dass der Wortlaut sowie Sinn und Zweck dieser Vorschrift es gebieten, dass dem Apotheker bei Ausgabe des Arzneimittels das Original der Verschreibung - körperlich - vorliegen muss, was bei einem eingescannten Rezept gerade nicht der Fall sei (so VG Karlsruhe Urteil vom 02.09.2008, 11 K 4331/07; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.07.2009, 6 A 11397/08; a.A. noch VG Mainz, Urteil vom 21.11.2008, 4 K 375/08; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2009, 9 S 2852/08).
Die Arzneimittelabgabe mittels des 24-Stunden-Automaten an der Apotheke sichere nicht, dass der - über die Web-Verbindung zugeschaltete - Apotheker die von § 17 Abs. 6 ApoBetrO geforderten Angaben im Zeitpunkt der Freigabe des Arzneimittels über den Automaten „auf der Verschreibung", dem Original, angibt. Da der Apotheker vielmehr lediglich eine eingescannte Kopie der Verschreibung bearbeite, liege ein Verstoß gegen § 17 Abs. 6 ApoBetrO vor. Daran - so die Gerichte - ändere auch der Umstand nichts, dass die geforderten Angaben über das Computersystem festgehalten und am Bildschirm einsehbar sind. Denn die Verschreibung müsse auch dahingehend geprüft werden, ob sie falsch oder gefälscht ist oder ihrem Inhalt nach der Umgehung gesetzlicher Vorschriften dient. Bestehen insoweit Bedenken, darf das verschriebene Arzneimittel nicht abgegeben werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist. Dieser Aufgabe werde der verantwortliche Apotheker nur gerecht, wenn er das Original der Verschreibung sehe und zwar „bei Abgabe" des Arzneimittels. Bei Prüfung der vorgelegten Verschreibung sei nämlich anhand des Originals leichter erkennbar, ob es sich um eine echte Verschreibung oder eine Farbkopie davon handelt oder ob die Unterschrift gefälscht worden ist. Manipulationen an einer Verschreibung seien beispielsweise aufgrund von Druckspuren, Schwärzungen und der Papierqualität erkennbar, was bei einem eingescannten Schriftstück nicht oder trotz des technischen Fortschritts bezüglich der Vergrößerungsmöglichkeiten nur eingeschränkt möglich ist. Beim Arzneimittelerwerb über einen Schalter könne ein Missbrauch, wie etwa die mehrfache Vorlage einer kopierten Verschreibung bei verschiedenen Apotheken nicht, daher jedenfalls in vielen Fällen nicht verhindert und nicht ausgeschlossen werden.
Die Vorschrift ist - nach Ansicht einiger Gerichte - bei jeder Medikamentenabgabe aufgrund einer Verschreibung anzuwenden, und damit auch auf nicht verschreibungspflichtige, aber tatsächlich verschriebene Arzneimittel.
2. Abgabe des sonstigen Apothekensortiments ohne Rezept
Hinsichtlich des sonstigen Apothekensortiments herrscht hingegen Uneinigkeit. Während das OVG Rheinland-Pfalz (Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.07.2009, 6 A 11397/08) das Verbot der 24-Stunden-Automaten auch auf das nicht verschreibungspflichtige und nicht verschriebene Rand- und Nebensortiment der Apotheke erstrecken will, tendiert der VGH Baden- Württemberg (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2009, 9 S 2852/08) in einer erst kürzlich veröffentlichten Entscheidung dazu, den Terminal-Betrieb zu gestatten, soweit die Ausgabe des Arzneimittels nicht auf der Vorlage einer Verschreibung beruht.
Das OVG Koblenz (generell contra Automaten) stützt sich in seiner Begründung maßgeblich auf den Aspekt der Arzneimittelsicherheit, der eine umfassende Beachtung beanspruche und mithin auch den terminalgestützten Arzneimittelabsatz, selbst wenn es sich dabei um ein das typische Leistungsspektrum einer Apotheke erweiterndes Zusatzangebot handelt, ergreife. Die durch den Automateneinsatz erzielbare Verbesserung des Versorgungsgrades bei den Arzneimitteln trete hinter diesem Schutzgut zurück.
Weitaus liberaler ist hingegen der VGH Baden-Württemberg (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2009, 9 S 2852/08).
Zwar stehe § 17 Abs. 1 ApoBetrO, wonach Arzneimittel, vom Versandhandel abgesehen, nur „in den Apothekenbetriebsräumen" in den Verkehr gebracht werden dürfen, augenscheinlich eher für ein generelles Verbot der Automatenlösung, doch wurde diese Vorschrift bereits in der Vergangenheit durch die Zulassung der Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel auch über den Außenschalter einer Apotheke hinsichtlich des Abgabeweges modifiziert. Auch mit der Ermöglichung des Versandhandels von Arzneimitteln hat der Gesetzgeber eine Form der Medikamentenabgabe zugelassen, bei der das Arzneimittel zwar aus der Apotheke heraus abgegeben werden muss, der Kunde aber nicht gehalten ist, die Apotheke zu betreten. Es mache schlicht keinen erheblichen Unterschied, ob ein Arzneimittel unmittelbar von pharmazeutischem Personal „ausgehändigt" oder - wie beim Automaten-System - dem Kunden der freie Zugriff auf ein Arzneimittel durch einen Apotheker ermöglicht wird (ebenso VG Mainz, Urteil vom 21.11.2008 - 4 K 375/08.MZ). Der Einsatz eines solchen Terminals als Zusatzangebot einer bestehenden und in ihren Öffnungszeiten unveränderten Apotheke sei daher für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zulässig.
III. Wertung / Ausblick
Wegen der Komplexität der hier zu entscheidenden Rechtsfragen, haben das OVG Koblenz und der VGH Baden-Württemberg unabhängig voneinander die Revision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zugelassen. Es ist daher davon auszugehen, dass es in Zukunft zu einer abschließenden Klärung der Angelegenheit kommt. Bis dahin sind die unterschiedlichen Rechtsansichten jedoch gegeneinander abzuwägen.
Zwar ist zuzugeben, dass eine Reihe von Fälschungsmerkmalen auch via Bildschirm zu erkennen sind, doch steht fest, dass das Merkmal der Papierqualität durch den Vorgang des Scannens verloren geht. Auch dürfte eine Unterscheidung von Original und Kopie bei unmittelbarer Anschauung des Papiers erheblich leichter sein, als bei einem eingescannten Rezept. Hiervon geht auch der Gesetzgeber aus, der lediglich solchen Dokumenten Urkundenqualität beimessen will, die mit einer sog. qualifiziert elektronischen Signatur versehen sind. Solange Rezepte nach wie vor in Papierform und nicht elektronisch (und mit Signatur) ausgestellt werden, erscheint die Abgabe von verschreibungspflichtigen und/ oder verschriebenen Arzneimitteln über das 24-Stunden-Terminal auch aus hiesiger Sicht unzulässig. Insoweit ist also Vorsicht geboten.
Was hingegen die Abgabe nicht verschreibungspflichtiger Arzneien angeht, so spricht sehr viel für die liberale Auffassung des VGH Baden-Württemberg. Bereits ein Vergleich mit dem Internetversandhandel von Arzneimitteln zeigt hier, dass die Arzneimittelsicherheit nicht allein durch eine omnipräsente Beratungstätigkeit des Apothekers gesichert werden kann. Viele Kunden verzichten - gleich aus welchen Gründen - auf diesen Service, ohne dass hier ernsthafte Verschlechterungen zu verzeichnen sind. Ganz im Gegensatz zum Internetversandhandel hat die Automatenabgabe jedoch den Vorteil, dass sich Kunden, die Beratung wünschen, auch in diesem Fall mit einem Apotheker unmittelbar in Verbindung setzen können. Das Defizit des anonymen Arzneimittelversandhandels wird hier ausgeglichen, ohne die durch das Apotheken-Terminal zweifelsohne erzielbare Verbesserung des Versorgungsgrades bei den Arzneimitteln zu gefährden.
Dr. Robert Kazemi