05
Dez 2010

BGH: 2te-Zahnarztmeinung gewinnt Prozess um Zahnarztversteigerungen im Internet

„Der 1. Dezember ist ein schwarzer Tag für die Patienten", mit diesen Worten kommentiert KZVB-Chef Dr. Janusz Rat das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Zahnersatz-Auktionsportalen im Internet. Er ist mit dieser Meinung nicht alleine. Viele Standespolitiker, bis hin in die Führungsspitzen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und der Bundeszahnärztekammer sehen die Entscheidung des höchsten deutschen Zivilgerichtes als falsch und die Versorgungsqualität durch die neue „Schnäppchenmentalität in der Medizin" als gefährdet an.

Die Stellungnahmen kamen schnell und sind zumeist durch ein hohes Maß an Emotionalität geprägt, der BGH wird z.T. scharf angegriffen. „Der BGH gestattet, medizinische Behandlungen wie Konsumprodukte versteigern zu lassen" und qualifiziere die zahnärztliche Behandlung als „Handelsware". Was genau hat der 1. Zivilsenat des BGH denn nun getan, dass ihm derartig harsche Kritik entgegenschlägt?

Ein Blick in die Pressemitteilung - die Entscheidungsgründe liegen aktuell noch nicht vor - gibt Aufschluss. Das Gericht hat getan, was von ihm verlangt wird, es hat das geltende Recht, frei von standespolitischen Wertungen ausgelegt und ist zu einem richtigen Ergebnis gelangt. Dabei berücksichtigt der BGH in zu erwartender Deutlichkeit das, was auch der Bundesgesetzgeber in zahlreichen Novellen des SGB V zum Ausdruck gebracht hat: Auch die ärztliche und zahnärztliche Leistungserbringung ist nicht frei von Wettbewerb!

„Es ist nicht zu beanstanden, wenn ein Zahnarzt, auf den ein Patient mit einem von einem anderen Zahnarzt erstellten Heil- und Kostenplan und der Bitte um Prüfung zukommt, ob er die Behandlung kostengünstiger durchführen kann, eine alternative Kostenberechnung vornimmt und, sofern sich der Patient daraufhin zu einem Zahnarztwechsel entschließt, auch dessen Behandlung übernimmt.", heißt es in der Pressemitteilung.

Ähnliches findet sich auch in der Gesetzesbegründung zum GKV-WSG (BT-Drucks. 16/3950). Hier heißt es, dass nationale Studien und internationale Vergleiche belegen, dass die Mittel zur Gesundheitsversorgung in der BRD nicht überall effizient eingesetzt werden, weswegen das Gesundheitswesen auch in seinen Angebotsstrukturen weiterzuentwickeln ist.

Eine derartige Weiterentwicklung der Angebotsstrukturen hatte der BGH mit dem Geschäftsmodell der 2ten-Zahnarztmeinung zu beurteilen. Zu Recht weist das Gericht darauf hin, dass der mit dem Modell einhergehende „Wettbewerb der Leistungserbringer" auch im Interesse der Patienten liegt. Denn Wettbewerb ist durchaus geeignet „Qualität und Effizienz der medizinischen Versorgung weiter zu verbessern" (BT-Drucks. 16/3950, S. 242, 246). Durch mehr Wettbewerb und der damit einhergehenden Transparenz erhalten die Versicherten stärkere Wahlmöglichkeiten, über die „bei Wahrung des sozialen Schutzes gleichzeitig auch mehr Individualität verwirklicht und eine am jeweiligen Bedarf orientierte medizinische Versorgung weiter gefördert werden kann."

Wenn der BGH also ausführt, ein Geschäftsmodell, welches dem Wettbewerb und damit dem Interesse der anfragenden Patienten dient, könne „nicht zugleich ein dem Grundsatz der Kollegialität zuwiderlaufendes und deshalb berufsunwürdiges Verdrängen von anderen Zahnärzten aus ihrer Behandlungstätigkeit" sein, so ist den Karlsruher Richtern hierin zuzustimmen.

Der BGH ist in dieser Wertung nicht allein, auch ist sie nicht neu, sondern durch entsprechende verfassungsgerichtliche Vorgaben bereits seit Jahren vorgezeichnet.

Auch das BVerfG betont bereits seit 1986 (BVerfG, MedR 1986, 134 ff.) die Notwendigkeit der Entwicklung der ärztlichen Leistung hin zu einem modernen ,,Service-Unternehmer". Eine hierfür notwendige Voraussetzung, nämlich die Möglichkeit, sich an den Patienten mit ihrem Leistungsangebot zu richten, darf dementsprechend nicht verhindert werden. Das (zahn)ärztliche Berufsrecht ist daher stets unter dem Gesichtspunkt der Berufsfreiheit des Art. 12 GG anzuwenden. Sachliche Information der Patienten ist grundsätzlich zulässig und im Hinblick auf das auf dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten basierende Recht auf freie Arztwahl als Informationsgrundrecht auch sinnvoll. Zudem ist zu beachten, dass die Arztwahl nur dann wirklich frei ist, wenn man dem Patienten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt, d.h. schon außerhalb der Praxis, einen vergleichenden Überblick über das zur Verfügung stehende Angebot und die Qualität dieses Angebotes bietet (Ehlers, in: FS f. Deutsch, 1999, S. 540). Soweit die standesrechtlichen Berufsregelungen dem Patienten Informationen für seine freie Arztwahl gar nicht, in zu geringem Umfang oder zu spät zugänglich machen, stellen sie daher einen verfassungswidrigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Patienten dar (in diesem Sinne auch Papier/Petz, NJW 1994, 1561).

Ebenso beurteilt es das BVerfG als grundsätzlich unbeachtlich, wenn Werbemaßnahmen auf die Gewinnung neuer Patienten abzielen. Zwar soll sich die ärztliche Berufsausübung nicht allein an ,,ökonomischen Erfolgskriterien, sondern an medizinischen Notwendigkeiten orientieren", dennoch ist die Absicht, Patienten zu Lasten der Konkurrenz zu gewinnen, nicht zu beanstanden, denn Akquisition als solche kann nicht berufswidrig sein (BVerfG, NJW 2003, 3473; BVerfGE 94, 372, 399 = NJW 1996, 3067). Dem (Zahn-)Arzt muss vielmehr weitestgehend die Möglichkeit gegeben werden, aktiv auf die Anbahnung und das Zustandekommen von Behandlungsverhältnissen hinzuwirken. Nur so verbleibt ihm die Einwirkungsmöglichkeit auf das berufliche und ökonomische Ergebnis seiner Tätigkeit.

Diese Interessen hat der BGH mit seinem aktuellen Urteil in einen gerechten Ausgleich gebracht. Einen „schwarzen Tag" für die Patienten sehe ich daher nicht. Insbesondere Gefahren, die durch ein Wissensdefizit der Patienten entstehen können, rechtfertigen aus meiner persönlichen Sicht keine andere Sichtweise, weil ein verantwortungsbewusster Arzt - dies kann weiterhin als Regelfall angesehen werden - medizinisch nicht notwendige Untersuchungen, Behandlungen oder Verordnungen grundsätzlich nicht vornehmen wird.

Dr. Robert Kazemi

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