BGH: Arzneimittelpräsentation im Internet
Die Frage, ob eine Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel zulässig ist, beschäftigt immer wieder die Gerichte. Nach § 10 Abs. 1 HWG darf für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur gegenüber Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesem Arzneimitteln erlaubter Weise Handel treiben, geworben werden. Schutzzweck des § 10 Abs. 1 HWG ist die Gesundheit von Mensch und Tier vor den Folgen des unkontrollierten Umgangs mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Das Verbot ergänzt und erweitert den Schutz, der durch die Vorschriften über die Verschreibungspflicht (vgl. insbesondere § 48 AMG) gewährt wird. Es verhindert, dass solche Mittel den Verbrauchern vor Augen geführt werden und sie unter dem Eindruck der Werbung auf die Verschreibung dieser Mittel drängen. Die Ärzte und Tierärzte sollen lediglich aufgrund eigener Sachkunde und unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls über eine bestimmte Medikation entscheiden. Ein Konflikt im Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient durch von der Werbung getragene Patientenwünsche, die immerhin den sachlichen Erfordernissen entgegenstehen können, soll von vorneherein vermieden werden.
Berufsgruppen, die über ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel informieren (sei es der Vorschlag eines Präparates oder einer bestimmten Behandlungsmethode unter Anwendung des Präparates), sollen daher immer prüfen, ob es sich dabei um Werbung im Sinne des HWG handelt. Gegebenenfalls ist dringend zu überprüfen, ob die Werbung auch einem Publikum außerhalb der Fachkreise zugänglich ist. Vor dem Hintergrund des nach ganz herrschender Auffassung weit zu verstehenden heilmittelrechtlichen Werbebegriffes ist Vorsicht geboten bei Informationen über ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel unter Zuhilfenahme und Darstellung von Packung oder Packungsbeilagen, selbst wenn es sich dabei um arzneimittelrechtlich vorgeschriebene Pflichtangaben handelt. Zwar stellen Packungsbeilagen, die ausschließlich zur sachlichen Produkt- und Gebrauchsinformationen benutzt werden und nur die nach §§ 11, 12 AMG vorgeschriebenen Pflichtangaben enthalten, begrifflich keine Werbung im Sinne des HWG dar und unterfallen deshalb nicht den heilmittelrechtlichen Werbeverboten. Daraus folgt jedoch nicht, dass es sich bei Pflichtangaben in einer Packungsbeilage nie um Werbung im Sinne des HWG handeln kann. Entscheidend ist vielmehr, ob die Packungsbeilage zu Werbezwecken verwendet wird. Mithin ist auch darauf abzustellen, ob die Gebrauchsinformationen und Arzneimittelkennzeichnungen in Absatzförderungsabsicht publik gemacht werden.
Das hanseatische Oberlandesgericht geht davon aus, dass eine gegen § 10 HWG verstoßende Absatzwerbung auch dann vorliegt, wenn eine Packungsbeilage unverändert unter einem konkreten Arzneimittelnamen im Internet abgebildet und mithin vor Erwerb des Arzneimittels vom Verbraucher einsehbar ist (OLG Hamburg, Urteil vom 23.11.2006, Az. 3 U 43/05).
Demgegenüber lehnte das Oberlandesgericht München mit der Vorinstanz in einem ähnlich gelagerten Fall die Annahme von Werbung im Sinne des HWG in diesem Falle mit der Begründung ab, der Kunde suche die Information im Internet gezielt und treffe nicht zufällig auf sie (OLG München, Urteil vom 06.05.2004, Az. 6 U 5565/04; LG München I, Urteil vom 06.11.2003, Az. 17 HK O 711494/03).
Diesem Umstand hält das hanseatische Oberlandesgericht entgegen, dass es sich bei Internetseiten, die Packungsbeilagen und damit Gebrauchshinweise zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zum Abruf bereithalten, um aktiv erstellte und veröffentlichte Gebrauchshinweise handelt. Dass Verbraucher danach gezielt suchen, ändert an den aktiv und freiwillig erstellten und zum Abruf bereit gehaltenen Inhalten nichts. Berücksichtigt man weiter, dass die Suche der Verbraucher womöglich auch unter Zuhilfenahme von Internetsuchmaschinen, die wiederum auf Begriffe aus dem Fließtext der Website oder auf der Website eingestellte Metatexte reagieren, erfolgt, so erscheint dieses Ergebnis konsequent.
Wie im Endeffekt zu entscheiden ist, darüber ist sich auch der Bundesgerichtshof (BGH) nicht im klaren, er hat diese höchst umstrittene Frage daher mit Beschluss vom 16. Juli 2009 (I ZR 223/06) zu abschließenden Klärung vorgelegt.
Aus der Sicht des Senats stellt sich die Frage, ob im Rahmen der vorstehend beschriebenen Problematik eher ein weiter oder eher ein enger Werbungsbegriff zugrundezulegen ist. Im letztern Fall würde von dem Werbeverbot eine Publikumswerbung der hier in Rede stehenden Art nicht erfasst, bei der die Informationen nur demjenigen zugänglich sind, der sich selbst im Internet um sie bemüht, und bei der allein Angaben gemacht werden, die der Zulassungsbehörde vorgelegen haben und dem Patienten mit dem Erwerb des Mittels ohnehin zugänglich werden.
Der BGH scheint eher zu einem restriktiven Werbeverständnis zu tendieren, denn es dürfe nicht übersehen werden, „dass bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln die Gefahr der Selbstmedikation bei Weitem geringer ist als bei nicht verschreibungspflichtigen Mitteln, weil verschreibungspflichtige Mittel zumindest auf legalem Weg nicht ohne Beteiligung eines Arztes und Apothekers und nicht ohne damit einhergehende Beratung und Untersuchung zu erlangen sind. Die Verschreibungspflicht stelle daher im Regelfall sicher, dass Anreize aus der Werbung nicht unmittelbar in eine Kaufentscheidung umgesetzt werden können, sondern die endgültige Entscheidung über das vom Patienten einzunehmende Mittel weiterhin beim behandelnden Arzt liegt.
Deshalb hat der BGH Zweifel, ob das Verbot, für verschreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb der Fachkreise zu werben, unter Berücksichtigung der Gemeinschaftsgrundrechte verhältnismäßig ist, wenn es sich lediglich um Pflichtangaben handelt und diese Angaben nur im Internet zur Verfügung stehen und damit nicht einer breiten unvorbereiteten Öffentlichkeit aufgedrängt werden.
Es bleibt abzuwarten, wie sich der EuGH zu dieser höchst interessanten Problematik positionieren wird.
Dr. Robert Kazemi