17
Jan 2010

BGH: Keine Erstattung der Abmahngebühren bei sog. „Schubladenverfügungen“

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige Erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) hat sich mit einer verbreiteten „Taktik" des Wettbewerbsverfahrens zu beschäftigen gehabt, der sog. Schubladenverfügung.

Im Gegensatz zu der im UWG „vorgesehenen" Vorgehensweise, einen Wettbewerber wegen Verstoßes gegen das UWG außergerichtlich abzumahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufzufordern, verzichtet der Anspruchsteller bei einer „Schubladenverfügung" hierauf und beantragt unmittelbar eine einstweilige Verfügung. Erst nachdem die Verfügung ohne mündliche Verhandlung (!) erlassen wurde, wird der Gegner abgemahnt, ohne freilich die bereits erstrittene einstweilige Verfügung bekannt zu geben.

Wird die Abmahnung nicht anerkannt, wird die Einstweilige Verfügung zugestellt. Nach Ansicht des Landgerichts Hamburg können die Kosten für die Abmahnung, obwohl nicht vor Erlass derselben abgemahnt wurde, dem Gegner auferlegt werden. Gleiches gilt für die Kosten des Verfügungsverfahrens.

Dem ist der BGH nunmehr entgegengetreten (BGH, Urteil vom 7. Oktober 2009 - I ZR 216/07).

Der Fall:

Die Klägerin, ein Krankenversicherungsunternehmen, hat gegen die Beklagten am 11. Juli 2006 beim Landgericht Köln zwei auf Unterlassung bestimmter Werbemaßnahmen gerichtete einstweilige Verfügungen erwirkt. Eine Zustellung der Verbotsverfügungen veranlasste sie zunächst nicht. Ohne die im Verfügungsverfahren erwirkten Titel zu erwähnen, ließ die Klägerin die Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 13. Juli 2006 wegen der Verletzungshandlungen abmahnen, die auch Gegenstand des Verfügungsverfahrens waren. Da die Beklagten die Abgabe von strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärungen verweigerten, ließ die Klägerin die am 11. Juli 2006 erwirkten Verbotsverfügungen nunmehr zustellen. Nachdem das Landgericht die Verbotsverfügungen trotz Widerspruch aufrechterhalten hatte, wurden sie von den Beklagten als endgültige Regelung anerkannt.

Während das LG Köln die Beklagten noch zur Erstattung der Kosten der Abmahnung verurteilte, hatte das OLG den Antrag abgelehnt, der BGH schließt sich nunmehr der Ablehnung an.

Die Entscheidung:

Ein Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten ergebe sich nicht aus § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG, weil die Abmahnungen erst zu einem Zeitpunkt an die Beklagten versandt wurden, als die Klägerin bereits Verbotsverfügungen gegen sie erwirkt hatte. Aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck des § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG folge, dass Ersatz der Aufwendungen nur für Abmahnungen beansprucht werden könne, die vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens wegen desselben Wettbewerbsverstoßes ausgesprochen worden seien.

An die Regelung der vorgerichtlichen Abmahnung knüpfe § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG unmittelbar mit der Formulierung an, dass der Anspruch auf Kostenerstattung bestehe, „soweit die Abmahnung berechtigt ist". Mithin sei in § 12 Abs. 1 Satz 1 UWG eine Obliegenheit zu einer vorgerichtlichen Abmahnung und in § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG der Anspruch auf Ersatz der zur Erfüllung dieser Obliegenheit erforderlichen Aufwendungen geregelt.

Auch nach der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der Vorschrift bestehe der Kostenerstattungsanspruch nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG nur für eine Abmahnung, die vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens ausgesprochen werde.

Das Berufungsgericht habe zudem zu Recht auch einen Anspruch der Klägerin auf Freistellung von den für die beiden Abmahnschreiben entstandenen Kosten aus § 683 Satz 1, §§ 677, 667 BGB verneint, weil die Abmahnungen jedenfalls nicht im Interesse der Beklagten lagen.

Im Streitfall komme es daher nicht darauf an, dass die Beklagten von den gegen sie erwirkten Verbotsverfügungen keine Kenntnis hatten. Für die Frage, ob eine Abmahnung im Interesse des Schuldners liegt, ist auf die objektiven Umstände im Zeitpunkt der Abmahnung abzustellen. Nach der Rechtsprechung des Senats zum Aufwendungsersatzanspruch auf der Grundlage einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag ist entscheidend, ob die Abmahnung nach objektiver Betrachtung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Schuldners entspricht.

Dies sei vorliegend jedoch nicht anzunehmen. Denn anders als bei einer vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens ausgesprochenen Abmahnung bestehe kein Interesse des Schuldners, nach Erlass einer Verbotsverfügung noch abgemahnt zu werden. Unerheblich ist, dass sich die Situation für den Abgemahnten, der nichts von der erlassenen Beschlussverfügung weiß, nicht anders darstellt, als wenn er vorgerichtlich abgemahnt worden wäre. Zwar erhalte der Schuldner auch durch die nachgeschaltete Abmahnung Gelegenheit, eine den Streit beilegende Unterwerfungserklärung ab-zugeben. Diese Möglichkeit stünde ihm aber auch offen, wenn ihm die Verbotsverfügung sogleich zugestellt würde. Entscheidend sei, dass der Schuldner den Rechtsstreit im Falle der nachgeschalteten Abmahnung durch eine Unterwerfungserklärung nicht mehr vermeiden könne.

Ohne Bedeutung sei in diesem Zusammenhang auch, dass die Beklagten die Abmahnung im Streitfall nicht zum Anlass genommen haben, sich zu unterwerfen. Denn dies ändere nichts daran, dass die Abmahnung nicht in ihrem Interesse lag. Im Übrigen könne der Abgemahnte, der es für möglich hält, dass der Gläubiger gegen ihn bereits eine einstweilige Verfügung erwirkt hat, nur dadurch der Kostenlast der (begründeten) Abmahnung entgehen, dass er sich zunächst streitig stellt und auf diese Weise die Zustellung der Verfügung erzwingt. Auch der Umstand, dass die Beklagten die ihnen zugestellten Beschlussverfügungen nicht hingenommen, sondern unbeschränkt Widerspruch erhoben haben (mit der Folge, dass ihnen nach Aufrechterhaltung der Verfügungen die Kosten des Verfügungsverfahrens auferlegt wurden), begründe nicht ihr Interesse, noch abgemahnt zu werden, nachdem gegen sie bereits Beschlussverfügungen ergangen waren.

Bewertung:

Die Entscheidung des BGH überrascht nur denjenigen Leser, der nicht einmal das Vergnügen hatte, einem Vortrag des Vorsitzenden des Ersten Zivilsenates, Herrn Prof. Dr. Bornkamm, zu lauschen. Dieser wurde in der Vergangenheit nicht müde, die „Unsitten" der sog. Schubladenverfügung festzustellen und für eine Gesetzesänderung de lege ferenda einzutreten. Dies ist nunmehr, wie die Entscheidung des BGH verdeutlicht, nicht (mehr) notwendig.

Dennoch überzeugt die Entscheidung m.E. nicht:

Der BGH lässt die Interessen des Gläubigers zu sehr unbeachtet. Denn für eine „Schubladenverfügung" besteht in der Praxis oftmals das legitime Interesse, den mit der Abmahnung verbundenen Warneffekt zu verhindern.

Die Folgen und insbesondere die Kosten müssen daher von der Reaktion des Schuldners auf die nachgeschobene Abmahnung abhängen. Gibt der Abgemahnte eine Unterlassungserklärung ab, so hat er auch die Kosten der Abmahnung zu tragen; dies folgt aus den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag, da es durchaus dem Interesse des Schuldners entspricht, nicht mit dem Gericht in Kontakt zu kommen; die Kosten des Verfügungsverfahrens trägt dann der Gläubiger. Unterwirft sich der (nachträglich) abgemahnte Schuldner dagegen nicht, ist sein nach zugestellter Verfügung erklärtes Anerkenntnis kein sofortiges i.S.d. § 93 ZPO, sodass er die Kosten des Verfügungsverfahrens zu tragen hat. In diesem Fall hat der Schuldner aber auch die Kosten der (berechtigten) Abmahnung zu tragen, da ihm ein Weg aufgezeigt wurde, die Angelegenheit ohne Gerichtsverfahren zu beenden.

Dr. Robert Kazemi

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