BGH: Zur Zulässigkeit der Empfehlungen für bestimmte Leistungserbringer durch einen Arzt - Hörgeräteversorgung II
Die Hörgeräteversorgung war schon einmal Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Mit Urteil vom 13.01.2011 hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein weiteres Leitsatzurteil hierzu gefällt (BGH, Urteil vom 13.01.2011, I ZR 11/08 - Hörgeräteversorgung II).
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Hörgeräteakustikermeisterin mit Betrieben in Bremerhaven und Cuxhaven. Sie nimmt den Beklagten, einen in Cuxhaven niedergelassenen HNO-Arzt, mit der Behauptung auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz in Anspruch, dieser verweise regelmäßig Patienten mit Verordnungen zur Hörgeräteversorgung an die seit September 2004 bestehende Filiale der f. AG in Cuxhaven.
Die Klägerin macht geltend, der Beklagte verweise seine Patienten, soweit diese selbst keinen anderen Hörgeräteakustiker benennen, ausschließlich an die f. AG in Cuxhaven, ohne dass sachliche Gründe dafür vorlägen.
Der Beklagte trägt vor, er informiere seine Patienten auf deren ausdrücklichen Wunsch über die Möglichkeiten einer Hörgeräteversorgung und nenne sachliche Gründe, um ihnen eine objektive Entscheidung zu ermöglichen. Er rate wegen der Wartung und Reparatur der Geräte immer zu einer wohnortnahen Versorgung und weise auf die jeweiligen Hörgeräteakustikbetriebe hin. Fragten Patienten nach den Kosten, teile er ihnen mit, dass gemäß seinen bisherigen Erfahrungen die Versorgung bei der f. AG durchschnittlich am günstigsten sei. Auch bezüglich der Qualität der Versorgung habe er mit der Filiale dieses Unternehmens in Cuxhaven gute Erfahrungen gemacht, die insbesondere auf die besondere Kompetenz des zuvor bei der Klägerin beschäftigten Hörgerätemeisters Sc. zurückzuführen seien. Für die Wahl des von ihm bevorzugten verkürzten Versorgungsweges, der in Cuxhaven nur von der Filiale der f. AG angeboten werde, sprächen auch medizinische Gründe. Bei dem dabei durch ihn vorzunehmenden Ohrenabdruck für die Herstellung des Hörgeräts erfolge eine gründliche Reinigung des Gehörgangs durch eine Ohrspülung, die als medizinische Leistung nur einem Arzt möglich sei.
Die Entscheidung:
Gemäß § 34 Abs. 5 MBO-Ä ist eine Verweisung an bestimmte Hilfsmittelerbringer untersagt, wenn sie ohne hinreichenden Grund erfolgt. Es ist deshalb zunächst zu prüfen, ob eine Verweisung im Sinne von § 34 Abs. 5 NdsBOÄ vorliegt.
Der Begriff der Verweisung in § 34 Abs. 5 MBO-Ä kann nicht auf Fälle einer den Patienten bindenden Überweisung beschränkt werden. Schon nach Wortlaut und Überschrift erfasst die Norm grundsätzlich auch Empfehlungen. Dabei ist aber der Zweck des § 34 MBO-Ä zu beachten. Die Vorschrift soll die unbeeinflusste Wahlfreiheit des Patienten in Bezug auf Apotheken, Geschäfte und Anbieter gesundheitlicher Leistungen gewährleisten. Diese Wahlfreiheit ist schon dann beeinträchtigt, wenn der Arzt dem Patienten von sich aus einen bestimmten Erbringer gesundheitlicher Leistungen nahelegt oder auch nur empfiehlt.
Anders verhält es sich aber, wenn der Patient - weil er keinen geeigneten Leistungserbringer kennt oder weil er eine Alternative sucht - den Arzt um eine Empfehlung bittet. Schon die mit dem Behandlungsvertrag übernommene Fürsorgepflicht spricht dafür, dass der Arzt auf der Grundlage seiner Erfahrungen die erbetene Empfehlung erteilen darf, wenn nicht erteilen muss. Es entspricht auch einem berechtigten Interesse der Patienten, von Ärzten ihres Vertrauens bei Bedarf Empfehlungen für Leistungserbringer zu erhalten. Erbittet der Patient die Empfehlung, ist es zudem seine eigene Entscheidung, ob er sich bei der Ausübung seiner Wahlfreiheit beeinflussen lässt. Es entspricht dem Leitbild des selbstbestimmten Patienten, dies dem Patienten zu ermöglichen. Unter diesen Umständen ist dem Arzt nicht zuzumuten, eine Empfehlung zu verweigern oder wider besseres Wissen außer dem seines Erachtens besten Anbieter weitere alternative Versorgungsmöglichkeiten anzugeben, die er für weniger geeignet hält.
Wünscht ein Patient ausdrücklich eine möglichst kostengünstige Versorgung, ist es einem Arzt auch nicht verwehrt, ihm den nach den - nachprüfbaren und aussagekräftigen - Erfahrungen des Arztes preiswertesten Anbieter gesundheitlicher Leistungen zu empfehlen.
Vom Begriff der Verweisung in § 34 MBO-Ä sind demgegenüber alle Empfehlungen für bestimmte Leistungserbringer erfasst, die der Arzt seinen Patienten von sich aus erteilt. Dazu zählt etwa die Empfehlung nur eines Anbieters durch Plakate, Flyer, Visitenkarten und Gutscheine (vgl. OLG Hamm, AZR 2008, 75, 76) oder die Empfehlung einer bestimmten Apotheke durch Rezeptaufdruck (OLG Koblenz, MMR 2006, 312).
Dafür reicht es aus, dass der Arzt den Patienten von sich aus fragt, ob er einen geeigneten Leistungserbringer kennt und dann bei Verneinung dieser Frage nicht alle in Betracht kommenden Anbieter benennt, sondern nur einen bestimmten unter ihnen, obwohl der Patient den Arzt nicht ausdrücklich zu einer solchen Empfehlung aufgefordert hat. Dagegen ist es nach § 34 MBO-Ä unbedenklich, wenn der Arzt eine Empfehlung ausspricht, nachdem der Patient die Frage, ob ihm ein geeigneter Leistungserbringer bekannt sei, verneint oder antwortet, die ihm bekannten Anbieter nicht beauftragen zu wollen, und den Arzt in diesem Zusammenhang um eine Empfehlung bittet.
Diese Abgrenzung bewahrt den Patienten entsprechend der Zielsetzung des § 34 MBO-Ä davor, dass ihm aufgrund der Autorität des Arztes ein Leistungserbringer aufgedrängt wird. Zugleich gestattet sie dem Arzt, dem berechtigten Informationsbedürfnis des Patienten zu entsprechen, auf Wunsch Empfehlungen seines Arztes einzuholen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können sich hinreichende Gründe im Sinne des § 34 Abs. 5 MBO-Ä auch aus der Qualität der Versorgung, aus der Vermeidung von Wegen bei gehbehinderten Patienten und aus schlechten Erfahrungen ergeben, die Patienten bei anderen Anbietern gemacht haben (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2000 - I ZR 59/98, GRUR 2000, 1080, 1082 = WRP 2000, 1121 - Verkürzter Versorgungsweg; Urteil vom 28. September 2000 - I ZR 141/98, GRUR 2001, 255, 256 = WRP 2001, 151 - Augenarztanschreiben). Eine generelle Verweisung an einen bestimmten Anbieter ist dagegen mit § 34 Abs. 5 MBO-Ä unvereinbar. Diese Bestimmung lässt die Verweisung an einen bestimmten Anbieter nur im Ausnahmefall zu. Im Regelfall soll dagegen die unbeeinflusste Wahlfreiheit des Patienten unter den Anbietern gesundheitlicher Hilfsmittel gewährleistet sein (BGH, GRUR 2009, 977 Rn. 24 - Brillenversorgung I).
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts reicht nach diesen Grundsätzen nicht bereits die größere Bequemlichkeit eines bestimmten Versorgungsweges allgemein und für sich allein als hinreichender Grund für eine Verweisung aus. Würde schon die bloße Möglichkeit, auch dem nicht gebrechlichen Patienten wegen des sogleich bei seinem Arzt vorgenommenen Ohrabdrucks einen weiteren Weg zu ersparen, für die Verweisung an einen bestimmten Hörgeräteakustiker genügen, wäre dieser Verweisungsgrund stets gegeben.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar auch die Qualität der Versorgung im Einzelfall einen hinreichenden Grund im Sinne des § 34 Abs. 5 NdsBOÄ darstellen (BGH, GRUR 2000, 1080, 1082 - Verkürzter Versorgungsweg; GRUR 2009, 977 Rn. 22 - Brillenversorgung I). Danach muss die Verweisung an einen bestimmten Hilfsmittelanbieter aus Sicht des behandelnden Arztes aufgrund der speziellen Bedürfnisse des einzelnen Patienten besondere Vorteile in der Versorgungsqualität bieten. Demgegenüber handelt es sich bei in langjähriger vertrauensvoller Zusammenarbeit gewonnenen guten Erfahrungen wie auch bei der allgemein hohen fachlichen Kompetenz eines Anbieters oder seiner Mitarbeiter um Umstände, die unabhängig von den Bedürfnissen des einzelnen Patienten generell vorliegen. Würden sie als hinreichender Grund im Sinne des § 34 MBO-Ä ausreichen, wäre die Verweisung von Patienten an den entsprechenden Leistungserbringer stets uneingeschränkt möglich. Das ist ebenfalls mit dem Charakter des § 34 MBO-Ä als Ausnahmevorschrift unvereinbar und ließe diese Vorschrift im Ergebnis weitgehend leerlaufen (BGH, GRUR 2009, 977 Rn. 24 - Brillenversorgung I; vgl. auch OLG Hamm, AZR 2008, 75, 77). [...]
Bewertung:
Die Entscheidung des BGH trägt viel zur Klarheit des ärztlichen Berufsrechts bei. Sie konkretisiert die vagen Bestimmungen zur Zusammenarbeit des Arztes mit der Industrie und bringt die wechselseitigen Interessen in einen gerechten Ausgleich.
Interessant sind die Ausführungen des BGH zur Reichweite des in den Berufsordnungen vorgesehenen „Empfehlungs- und Verweisungsverbotes". Nach Ansicht der Karlsruher Richter soll dieses Verbot bereits dann nicht mehr greifen, wenn der Patient den Arzt um eine Empfehlung bittet. In diesem Fall soll der Arzt berechtigt (!), eine konkrete Empfehlung auszusprechen, um dem Leitbild des selbstbestimmten Patienten Genüge zu tun.
Wünscht ein Patient ausdrücklich eine möglichst kostengünstige Versorgung, ist es einem Arzt auch nicht verwehrt, ihm den nach den - nachprüfbaren und aussagekräftigen - Erfahrungen des Arztes preiswertesten Anbieter gesundheitlicher Leistungen zu empfehlen!
Das „Empfehlungs- und Verweisungsverbot" greift erst dort, wo der Arzt „eigenmächtig" empfiehlt, dort, wo der Patient gerade nicht um eine konkrete Empfehlung gebeten hat. Dafür reicht es aus, dass der Arzt den Patienten von sich aus fragt, ob er einen geeigneten Leistungserbringer kennt und dann bei Verneinung dieser Frage nicht alle in Betracht kommenden Anbieter benennt, sondern nur einen bestimmten unter ihnen, obwohl der Patient den Arzt nicht ausdrücklich zu einer solchen Empfehlung aufgefordert hat.
In diesen Fällen ist eine Verweisung nur dann zulässig, wenn hierfür „hinreichende Gründe" angeführt werden können. An dieses Kriterium sind nach Ansicht der BGH hohe Anforderungen zu stellen.
Jedenfalls die reichen
- die größere Bequemlichkeit eines bestimmten Versorgungsweges allgemein und für sich allein
für die Annahme „hinreichender Gründe" ebenso wenig aus, wie
- die in langjähriger vertrauensvoller Zusammenarbeit gewonnenen guten Erfahrungen
oder
- die allgemein hohe fachliche Kompetenz eines Anbieters oder seiner Mitarbeiter.
Dr. Robert Kazemi