EuGH: Kostenerstattung bei Auslandsbehandlungen
Fragen der Kostenerstattung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung sind - nicht nur in der Bundesrepublik - aktuell ein heiß diskutiertes Thema. Wie ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zeigt, ist die Kostenerstattung auch in anderen Mitgliedstaaten nicht unumstritten. In dem konkreten Fall wandte sich die EU-Kommission gegen eine Regelung im französischen Sozialversicherungssystem wonach die Kostenerstattung für geplante Behandlungen außerhalb von Krankenhäusern in einem anderen Mitgliedstaat von einer vorherigen Genehmigung des zuständigen französischen Trägers abhängig gemacht wird, wenn diese Behandlungen den Einsatz medizinischer Großgeräte (bspw. Kernspintomografiegeräte oder Kernspinresonanzspektrometer) erfordern (EuGH, Urteil vom 05.102.2010 - Rs. C-512/08 „Kommission / Frankreich").
Der EuGH stellt zunächst fest, dass entgeltliche medizinische Leistungen in den Anwendungsbereich der Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr fallen, ohne dass danach zu unterscheiden wäre, ob die Versorgung in einem Krankenhaus oder außerhalb eines solchen erbracht wird. Der freie Dienstleistungsverkehr schließt die Freiheit der Leistungsempfänger, insbesondere der Personen, die eine medizinische Behandlung benötigen, ein, sich zur Inanspruchnahme dieser Dienstleistungen in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkungen beeinträchtigt zu werden. Die vorherige Genehmigung, die in der französischen Regelung für die Erstattung der Kosten für eine den Einsatz medizinischer Großgeräte erfordernde Behandlung verlangt wird, ist daher geeignet, die Versicherten des französischen Systems davon abzuschrecken oder sogar daran zu hindern, sich an die Erbringer medizinischer Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat zu wenden, und stellt daher tatsächlich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.
Nach Ansicht des Gerichtshofes ist diese Beschränkung jedoch durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Die Rechtfertigung resultiert dabei daraus, dass medizinische Großgeräte Gegenstand einer Planungspolitik sein können, insbesondere, was ihre Zahl und ihre geografische Verteilung betrifft, um dazu beizutragen, im gesamten Staatsgebiet ein Angebot an Spitzen-Behandlungsleistungen zu gewährleisten, das rationell, stabil, ausgewogen und gut zugänglich ist, aber auch, um jede Verschwendung finanzieller, technischer und menschlicher Ressourcen soweit wie möglich zu verhindern.
Angesichts der Gefahren sowohl für die Organisation der öffentlichen Gesundheitspolitik als auch für das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit stellt das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung für diese Art von Behandlungen folglich beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts eine gerechtfertigte Einschränkung dar.
Dr. Robert Kazemi