LG Duisburg: Akteneinsicht bei Urheberrechtsverletzungen
Eine zum Ausfindigmachen von sog. Filesharing-Usern beliebtes Instrument der Musik- und Filmindustrie ist die Erstattung von Strafanzeigen gegen die meist nur über eine IP-Adresse bekannten Nutzer nach Maßgabe der urheberrechtlichen Strafvorschriften in §§ 106 ff. UrhG. Die sodann tätige Staatsanwaltschaft ermittelt im Wege des sog. Amtsermittlungsgrundsatzes dann den Anschlussinhaber der jeweiligen IP-Adresse; da dies jedoch in strafrechtlicher Hinsicht die Täterschaft nicht belegt, kommt es in den weitaus meisten Fällen danach wieder zu einer Einstellung des Strafverfahrens. Als Strafantragsteller nutz die Musik- und Filmindustrie ihr Recht auf Einsichtnahme in die Ermittlungsakten, macht so den Anschlussinhaber ausfindig und nimmt diesen - zumindest als urheberrechtlichen Störer - auf Unterlassung, oftmals auch Schadenersatz in Anspruch. Kollegen, die der „gebeutelten" Musikindustrie zur Hilfe eilen, werden schnell zu sog. „Abmahnanwälten" abgestempelt.
Vor allem die durch die mannigfaltigen Strafanzeigen stark belasteten Staatsanwaltschaften suchen in letzter Zeit nach einer Möglichkeit dem vorgenannten Vorgehen her zu werden. Eine beliebte Möglichkeit der „Abschreckung" ist die Verweigerung der Akteneinsicht.
Das LG Duisburg (LG Duisburg, Beschluss v. 30.11.2009, Az. 34 AR 3/09) nunmehr entschieden, dass dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaften nicht rechtmäßig ist. Den Verletzen Urhebern ist Akteneinsicht zu gewähren.
Der Fall:
Die O-GmbH (im Folgenden Verletzte genannt) erstattete mit anwaltlichem Schriftsatz vom 03.01.2008 bei der Staatsanwaltschaft Detmold wegen Verletzung ihrer Rechte an urheberrechtlich geschützten Werken Strafanzeige gegen drei Unbekannte und stellte Strafantrag. Nach der Durchführung von Ermittlungen und Übernahme von der Staatsanwaltschaft Detmold stellte die Staatsanwaltschaft Duisburg das Verfahren am 06.02.2008 gemäß § 153 Abs. 1 StPO aufgrund der Geringfügigkeit des Schadens und mangelndes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung ein.
Mit anwaltlichem Schriftsatz bat die Verletzte um die Gewährung von Einsicht in die Ermittlungsakte. Die Staatsanwaltschaft Duisburg teilte der Verletzten mit, sie komme dem Akteneinsichtsgesuch aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht nach. Bei dem ermittelten Anschlussinhaber handele es sich nicht zwangsläufig um den zu ermittelnden Täter. Daneben bestehe auch kein ausreichendes Interesse an einer Akteneinsicht, weil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Anschlussinhabers vorgehe. Jedenfalls überwiege nicht das Interesse des Antragstellers. Weitere Ermittlungen seien unverhältnismäßig.
Gegen die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft richtet sich der Antrag der Verletzten auf gerichtliche Entscheidung.
Die Entscheidung:
Nach § 406 e Abs. 1 Satz 1 StPO hat der durch eine Straftat Verletzte jedenfalls dann einen grundsätzlichen Anspruch auf Akteneinsicht durch einen von ihm beauftragten Rechtsanwalt, wenn er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. Hierfür ist nach dem Willen des Gesetzgebers die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche durch den Verletzten einer Straftat ausreichend.
Vorliegend macht die Verletzte jedenfalls auch geltend, dass sie gegen den beschuldigten Inhaber des Internet-Anschlusses einen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung habe. Zur Verfolgung dieses Anspruchs sei die Verletze darauf angewiesen, die Identität und ladungsfähige Anschrift des von den Ermittlungsbehörden ermittelten Beschuldigten und die ermittelten näheren Umstände der Verbreitungshandlung zu erfahren, was vorliegend nur durch eine Einsichtnahme in die Ermittlungsakte erfolgen kann.
Kein Ausschluss wegen Vorrangs des § 101 Abs. 1 UrhG
Hieran ändere auch die Möglichkeit eines zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs gegen den Internet-Provider des Beschuldigten auf Auskunfterteilung gemäß § 101 Abs. 1 UrhG nichts. Denn, die Rechtsverletzung durch eine einmalige Verbreitung eines urheberrechtlichen Werkes über den Anschluss des Beschuldigten stelle noch keinen Urheberrechtsverstoß von "gewerblichem Ausmaß" im Sinne von § 101 Abs. 1 UrhG dar.
Keine schutzwürdigen Interessen des Anschlussinhabers
Auch überwiegende schutzwürdige Interessen des Anschlussinhabers nach § 406 e Abs. 2 Satz 1 StPO schieden aus. Denn das Geheimhaltungsinteresse überwiege das Informationsinteresse der Verletzen nicht. Hierfür sei insbesondere nicht schon die abstrakte Möglichkeit, dass der Beschuldigte nach erfolgter Akteneinsichtnahme durch die Anzeigenerstatterin zivilrechtlich als Störer in Anspruch genommen werden kann, ausreichend. Die Offenbarung der Identität und Anschrift des Beschuldigten sei vielmehr die notwendige Folge des Umstands, dass die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche ein berechtigtes Interesse des Verletzten im Sinne von § 406 e Abs. 1 StPO begründe.
Soweit in der Rechtsprechung teilweise die Ansicht vertreten wird, im Rahmen der Interessenabwägung sei die Stärke des Tatverdachts zu berücksichtigen (vgl. LG Darmstadt, MMR 2009, 579; LG Saarbrücken, MMR 2009, 639), tritt das LG Duisburg dieser Ansicht entgegen. Denn ein fehlender Tatverdacht führe nicht ohne weiteres dazu, dass das stets zu berücksichtigende allgemeine Geheimhaltungsinteresse des Beschuldigten gegenüber dem berechtigten Auskunftsinteresse des Verletzten überwiege. Anderenfalls würde die Regelung des § 406 e Abs. 1 S. 1 StPO in den Fällen, in denen das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO wegen fehlenden Tatverdachts eingestellt worden ist, nahezu vollständig ausgehöhlt. Es sei indes anerkannt, dass ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht insbesondere auch dann besteht, wenn sie der Prüfung der Frage dienen soll, ob eine Einstellungsbeschwerde nach § 172 Abs. 1 StPO oder ein Klageerzwingungsantrag gemäß § 172 Abs. 2 StPO gestellt werden soll.
Bewertung:
Die Entscheidung des LG Duisburg ist ohne Frage ein Rückschlag im Kampf gegen das vor allem aus moralischen Gesichtspunkten verurteile „Abmahnwesen". Aus rechtlichen Gesichtspunkten ist die Entscheidung des LG Duisburg jedoch nachvollziehbar und geht auch mit den zivilrechtlichen Entscheidungen weitestgehend konform. Der Ansatz zur Lösung des Problems ist nach hiesiger Auffassung auch nicht im Straf- sondern originär im Urheber- und Zivilrecht zu suchen. Einen ersten Schritt in die richtige Richtung hat der Gesetzgeber mit der Beschränkung der Abmahngebühren auf 100,00 EUR in § 97a Abs. 2 UrhG getan. Nun müsste nur noch die mittlerweile ausufernde Störerhaftung begrenzt werden.
Dr. Robert Kazemi