17
Jan 2010

LG Hamburg: Beweislast für Zugang der Abmahnung beim Empfänger und Anscheinsbeweis für E-Mail-Zugang

Das Landgericht Hamburg hat sich im Rahmen eines Urteils mit zwei höchst interessanten Rechtsfragen zu befassen (LG Hamburg, Urt. v. 7. Juli 2009 - 312 O 142/09). Wer trägt das Risiko für den Zugang der Abmahnung und allgemeiner wer trägt das Risiko, dass eine abgesandte Email den Empfänger auch erreicht hat? Beide Fragen beantwortet das LG Hamburg zu Ungunsten des Empfängers.

Die Entscheidung:

Die Kammer vertritt die Auffassung, dass die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine Abmahnung nicht zugegangen ist, beim Adressaten, also dem Abgemahnten liege. Insoweit trage der Empfänger das Risiko, dass die Abmahnung beispielsweise auf dem Postweg verloren gehe, da es sich bei der Abmahnung letztlich um „eine Wohltat für den Schuldner" handele, der auf diese Weise Gelegenheit erhält, die Angelegenheit kostengünstig beizulegen. Auch wenn nicht festgestellt werden könne, ob ein Abmahnschreiben zugegangen ist oder nicht, sei damit für eine Kostenentscheidung nach § 93 ZPO (die Kosten des Verfügungsverfahrens sind dem Antragsteller aufzuerlegen) kein Raum.

Diese Grundsätze wirkten sich auch im vorliegenden Fall aus, in dem eine Abmahnung per Email abgeschickt, aber von der Firewall der Antragsgegnerin aufgehalten worden ist. Das Risiko, dass die Email verloren gehe, habe ebenfalls der Abgemahnte zu tragen.

Das LG trifft des Weiteren interessante, wenn auch kaum nachzuvollziehende, Aussagen über die Beweislast des Emailzuganges allgemein.

Da von einem Zugang im Sinne des § 145 BGB bereits dann auszugehen ist, wenn eine Willenserklärung und dementsprechend eine geschäftsähnliche Handlung so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen, sei der Zugang einer Email dann auszugehen, wenn diese an eine vom Empfänger im geschäftlichen Verkehr verwendete Email-Adresse geschickt wurde und in der entsprechenden Mailbox des Empfängers angekommen sei.

Dem Ankommen in der Mailbox entspräche es, wenn eine Email üblichen Umfangs, die beispielsweise bei anderen Empfängern problemlos angekommen ist, in anderen Mailboxen von einem Sicherungssystem des Empfängers wie einer so genannten Firewall aufgehalten und an anderer Stelle als der Mailbox zwischengespeichert werde. Auch in einem solchen Fall könne mit der Kenntnisnahme innerhalb ein oder zweier Arbeitstage üblicherweise gerechnet werden. Denn der Zugang der Kontrollmail und der Umstand, dass die Email nicht „zurückkommt" begründen eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Email auch an anderer Adresse angekommen ist.

Bewertung:

Die Entscheidung des LG ist tragisch, nicht unbedingt in Zusammenhang mit der Frage der Beweislast für den Zugang einer Abmahnung, sondern vielmehr in Zusammenhang mit den Aussagen zum Zugang von Emails.

In rechtlicher Hinsicht ist zwar die Beurteilung des LG Hamburgs, ein E-Mail sei für den Empfänger in dem Zeitpunkt abrufbar, in dem es in seiner Mailbox eingelangt und gespeichert ist und am Bildschirm angezeigt oder ausgedruckt werden kann, das heißt, sobald ein Abruf durch den Empfänger möglich ist, nicht zu beanstanden. Die weitergehenden Betrachtungen sind jedoch aus rechtlichen wie tatsächlichen Gesichtspunkten nach hiesiger Auffassung kaum haltbar:

Der Anscheinsbeweis ist die Verschiebung des Beweisthemas von der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache auf eine leichter erweisliche Tatsache, die mit ihr in einem typischen Erfahrungszusammenhang steht. Er ist nur zulässig, wenn eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht; er darf daher nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen. Eine Verschiebung der Beweislast kann also nur dann in Betracht kommen, wenn ein allgemein, also für jedermann in gleicher Weise bestehender Beweisnotstand gegeben ist und wenn objektiv typische, also auf allgemein gültigen Erfahrungssätzen beruhende Geschehensabläufe für den Anspruchswerber sprechen.

Nach diesen Grundsätzen kann sich ein Beweis des ersten Anscheins für den Eingang in der Mailbox des Empfängers aber nicht bereits dann ergeben, wenn der Absender die Absendung der E-Mail beweisen kann. Denn die Absendung allein bietet keinerlei Gewähr dafür, dass die Nachricht den Erklärungsempfänger bzw. dessen Mailbox tatsächlich erreicht. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass die Nachricht, etwa wegen Fehlern in der Datenleitung oder den vom Absender verwendeten Programmen, tatsächlich nicht in die Mailbox des Empfängers gelangt. Dementsprechend kann ein Sendevermerk, der von dem sendenden Programm üblicherweise angefertigt wird, keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger begründen. Denn der Sendebericht beweist lediglich, dass die Nachricht zu einer bestimmten Zeit an eine bestimmte Adresse gesendet worden ist. Der Zugang ist damit jedoch nicht bewiesen.

In einem Beitrag der Fachhochschule Darmstadt unter dem Titel „Beweisbarer Versand und Zustellung von E-Mails"  vom 25. 3. 2004, wird zudem ausgeführt, das E-Mail, wie es heute meist verwendet werde, entspreche rein technisch betrachtet etwa einer mit Bleistift geschriebenen Postkarte. Sie sei von jedem, der auf dem Transportweg Zugriff erlangen könne, zu lesen und eventuell auch zu verändern. Auch dies spricht gegen die Ansicht des LG.

Es bleibt also zu hoffen, dass sich die hamburgische Rechtsprechung nicht durchsetzen wird. Andernfalls wäre jedem Unternehmen zu empfehlen, so weit wie nur irgend möglich, auf die Einrichtung von Email-Postfächern zu verzichten. Zugegegen, dies ist allein schon mit Blick auf § 5 TMG nur schwer möglich.

Dr. Robert Kazemi

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