19
Mai 2009

LG Stuttgart: Keine „Testkäufer“ beim Arzt / Zahnarzt – Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient verbietet das systematische Suchen nach Wettbewerbsverstößen

Wie Pressemitteilungen von heute berichten hat die Wettbewerbszentrale vor dem Landgericht Stuttgart eine Niederlage erlitten, die vor allem Ärzte und Zahnärzte freuen dürfte.

Was war geschehen?

Die Wettbewerbszentrale hatte einen erkannt schwerhörigen „Testpatienten“ systematisch HNO-Arztpraxen aufsuchen lassen, um den aufgesuchten Ärzten Fehler im Rahmen der der Versorgung von Patienten im verkürzten Versorgungsweg („Hörgeräteversorgung“) nachzuweisen. Der 67-jährige „Testpatient“ ließ sich wegen der Beeinträchtigung seines Hörvermögens von dem später in Anspruch genommenen HNO-Arzt beraten. Dieser nahm einen Hörtest (Reintonaudiometrie) vor und stellte Schwerhörigkeit fest. Daraufhin machte die die Sprechstundenhilfe des Arztes wenige Tage später einen Sprachtest (Sprachtonaudiometrie) mit dem „Testpatienten“. Daran schloss sich eine weitere ärztliche Beratung durch den Arzt an, bei der der Arzt dem „Testpatienten“ erklärte, dass er für beide Ohren Hörgeräte benötigt. Der Testpatient ließ sich sodann durch die Sprechstundenhilfe bezüglich der Auswahl eines Hörgeräts beraten und unterzeichnete eine Hörgerätebestellung. Der „schwerhörige“ Zeuge der Wettbewerbszentrale behauptet nunmehr von dem HNO-Arzt nicht über alternative Bezugsmöglichkeiten informiert worden zu sein. Hierin sah die Wettbewerbszentrale einen Verstoß gegen die ärztlichen Berufspflichten, insbesondere das Verbot der Zuweisung eines Patienten an bestimmte Apotheken, Geschäfte oder Anbieter von gesundheitlichen Leistungen (§ 34 Abs. 5 MBO-Ä).

Zu Unrecht urteilte nunmehr das LG Stuttgart (Urt. v. 06.04.2009, Az. 40 O 148/08 KfH). Das Gericht stellt zunächst – in Anlehnung – an die bekannte BGH-Entscheidung zur Hörgeräteversorgung (BGH, Urteil vom 15. 11. 2001 - I ZR 275/99) fest, dass es grundsätzlich nicht unlauter und damit auch nicht berufswidrig ist, wenn ein HNO-Arzt seinen Patienten im Beratungsgespräch darauf hinweist, dass dessen Versorgung mit einem Hörgerät nicht nur durch einen örtlichen Hörgeräteakustiker durchgeführt werden kann, sondern auch - im so genannten verkürzten Versorgungsweg - durch einen auswärtigen Hörgeräteakustiker. Dies gilt auch dann, wenn der Arzt für die ärztlichen Leistungen, die er im Rahmen seiner Mitwirkung an der Versorgung im verkürzten Versorgungsweg erbringt, eine gesonderte Vergütung erhält. In diesem Zusammenhang so das Gericht zutreffend, kann auch ein Verweis des Arztes auf einen bestimmten Anbieter von Hörgeräten nur untersagt werden, wenn dafür ein hinreichender Grund fehlt. Hinreichende Gründe können etwa die Qualität der Versorgung, deren Wirtschaftlichkeit, Vermeidung von Wegen bei gehbehinderten Patienten, bessere Eignung eines bestimmten Hörgeräts, schlechte Erfahrung mit ortsansässigen Hörgeräteakustikern sein, so das Gericht.

Eine grundsätzliche Unzulässigkeit des „verkürzten Versorgungsweges“ sah das LG also nicht. Eine nach der h. Rspr. richtige Entscheidung. Ob diese Ansicht auch in Zukunft so vertreten werden kann, erscheint hingegen, wegen der nach dem neuen GKV-OrgWG geltenden Rechtslage äußerst fraglich.

 

Mit dem GKV-OrgWG wurde ein neuer   § 128 in das das SGB V aufgenommen. Nach diesem gilt nunmehr:

(1) Die Abgabe von Hilfsmitteln an Versicherte über Depots bei Vertragsärzten ist unzulässig, soweit es sich nicht um Hilfsmittel handelt, die zur Versorgung in Notfällen benötigt werden. Satz 1 gilt entsprechend für die Abgabe von Hilfsmitteln in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen.

(2) Leistungserbringer dürfen Vertragsärzte nicht gegen Entgelt oder Gewährung sonstiger wirtschaftlicher Vorteile an der Durchführung der Versorgung mit Hilfsmitteln beteiligen oder solche Zuwendungen im Zusammenhang mit der Verordnung von Hilfsmitteln gewähren. Unzulässig ist ferner die Zahlung einer Vergütung für zusätzliche privatärztliche Leistungen, die im Rahmen der Versorgung mit Hilfsmitteln von Vertragsärzten erbracht werden, durch Leistungserbringer.

Viele sehen hierin das Ende des „verkürzten Versorgungsweges" und eine deutliche Abkehr von der aus hiesiger Sicht patientenfreundlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofes. So beispielsweise auch der Justiziar der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Dirk Schulenburg. Die Mehrheit der bislang erschienen Beiträge zu dieser Problematik, teilen diese Ansicht. So wird davon ausgegangen, dass durch die Neuregelung von § 128 SGB V zahlreiche als "verkürzter Versorgungsweg" praktizierte Modelle im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung mit einem Federstrich zum Auslaufmodell werden.

Der Gesetzeswortlaut jedenfalls spricht für diese Ansicht und für eine Abkehr von den Vorgaben des Bundesgerichtshofes.

Einen Lösungsweg zeigt § 128 Abs. 4 SGB V auf. Hiernach ist es Vertragsärzten weiterhin gestattet,  im Rahmen von Einzelverträgen mit Krankenkassen eine Vergütung für im Rahmen der Mitwirkung an der Hilfsmittelversorgung erbrachte Zusatzleistungen zu vereinbaren. Ob diese Verträge in der Praxis Relevanz auf ärztlicher Seite zeichnen werden kann bezweifelt werden, zumal erste Versuche seitens der Krankenkassen derartige Verträge zu schließen, eher auf Ablehnung, denn auf Zustimmung bei den Patienten gestoßen sind (vgl. beispielsweise http://www.gesundheit-adhoc.de/index.php?m=1&id=3211).  Es bleibt also abzuwarten, ob hierin wirklich eine Lösung zu sehen ist. Für den klassischen, auch vor dem LG Stuttgart zu entscheidenden Fall der verkürzten Hörgeräteversorgung hilft dieser Vertrag mithin nicht.

§ 128 SGB V - dies scheint klar - bringt jedoch keine grundsätzlich und vollkommene Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung mit sich. Auch weiterhin gilt damit, dass ein Verweis des Arztes auf einen bestimmten Anbieter von Hörgeräten nur untersagt werden kann, wenn dafür ein hinreichender Grund fehlt. Hinreichende Gründe können etwa die Qualität der Versorgung, deren Wirtschaftlichkeit, Vermeidung von Wegen bei gehbehinderten Patienten, bessere Eignung eines bestimmten Hörgeräts, schlechte Erfahrung mit ortsansässigen Hörgeräteakustikern sein. In diesen Fällen ist der Hinweis des Arztes weiterhin zulässig und auch im Patienteninteresse wünschenswert. Für diese „Empfehlungen" darf der Arzt jedoch keine Vergütungen gleich welcher Art erhalten.

Wie der Verfasser bereits an anderer Stelle (Anmerkung, OLG Köln, Az. 6 U 46/05 - Einbindung von HNO-Ärzten in die Abgabe von Hörgeräte, MedR 2006, 478) ausgeführt hat, bedeutet dies jedoch nicht, dass der Arzt sich nicht auch wirtschaftlich an einem Hersteller von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten beteiligen kann. Wie das OLG Köln zutreffend formuliert hat, stellen die mit dem Aktienerwerb verbundenen Vermögensinteressen zwar neben dem (und durch die dafür erbrachte Arbeitsleistung ausgeglichenen) Erwerbsinteresse des Arztes einen weiteren Anreiz dafür dar, Patienten bei dem Hersteller versorgen zu lassen. Dieser Anreiz sei aber schon deshalb marginal und standesrechtlich unbeachtlich, weil die Praxis des einzelnen Arztes, Patienten bei dem Hersteller, an dem der Arzt eine Beteiligung hält, versorgen zu lassen, den Kapitalerfolg des Herstellers tatsächlich kaum spürbar beeinflussen könne und deshalb eine Entscheidung für die Versorgung durch den Hersteller im Einzelfall aus finanziellen Gründen fern liege. Hieran muss auch unter Geltung des neuen § 128 SGB V festgehalten werden!

Besonders erfreulich und auch nach neuer Rechtslage zutreffend ist - um abschließend nochmals auf das LG Stuttgart zurückzukommen -, dass sich das Gericht in erfreulicher Deutlichkeit gegen den Einsatz von „Testpatienten" in der Arztpraxis ohne Wissen und Wollen des Arztes ausspricht.

Das Gericht führt aus, der Einsatz derartiger „Testpatienten" sei rechtsmissbräuchlich, denn hierdurch werde das „Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt" missbraucht und die „Hilfeleistungspflicht des Arztes durch den Patienten zu behandlungsfremden Zwecken" ausgenutzt.

Dem ist zuzustimmen!

Es bleibt zu hoffen, dass diese Entscheidung breite Beachtung findet. Dies auch, weil Arbeitgeber zunehmend auf den Einsatz von „Testpatienten" beim Arzt zurück greifen, um krankfeiernde Mitarbeiter ausfindig zu machen. Ein Witz? Leider nicht: Wie die IHK Trier berichtet ist eine

„neue Abwehrmethode dem Wettbewerbsrecht entlehnt: Analog zum Testkäufer meldet sich ein Testpatient und begehrt Krankschreibung, ohne krank zu sein [...] Der Testpatient beruft sich auf die Empfehlung eines Arbeitnehmers, den dieser Arzt gerade krankgeschrieben hat und an dessen „Krankheit" der Vorgesetzte massive Zweifel hatte." Werde auch der Testpatient auf Bitten und ohne Untersuchung krankgeschrieben, könne der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern und fortan sämtliche Krankschreibungen des Arztes bezweifeln, da „ihr Beweiswert" erschüttert sei.

Ob diese Ansicht zutrifft mag bezweifelt werden, denn auch hier nutzt der Arbeitgeber das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient aus. Ob die Arbeitsgerichte hier wirklich mitziehen, kann - vor dem Hintergrund der Entscheidung des LG Stuttgart - zumindest bezweifelt werden.

Dr. Robert Kazemi

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