LG Wuppertal: Einwählen in ein unverschlüsselt betriebenes Funknetzwerk (WLan) nicht strafbar
Im Mai 2010 hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem viel beachteten Urteil (Urteil vom 12. Mai 2010, I ZR 121/08 - „Sommer unseres Lebens") über die Haftung des Inhabers eines Internetanschlusses für die unberechtigte Nutzung einer WLan-Verbindung durch unberechtigte Dritte entschieden und festgestellt, dass auch privaten Anschlussinhabern die Pflicht obliege zu prüfen, ob ihr WLan-Anschluss durch angemessene Sicherungsmaßnahmen vor der Gefahr geschützt ist, von unberechtigten Dritten zur Begehung von Urheberrechtsverletzungen missbraucht zu werden. Dem privaten Betreiber eines WLan-Netzes könne zwar nicht zugemutet werden, seine Netzwerksicherheit fortlaufend auf dem neuesten Stand der Technik zu halten und dafür entsprechende finanzielle Mittel aufzuwenden, seine Prüfungspflicht beziehe sich jedoch explizit auf die Einhaltung der im Zeitpunkt der Installation des Routers für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen.
Mit einem Folgeproblem hat sich nunmehr das Landgericht (LG) Wuppertal befasst (LG Wuppertal, Urteil vom 19.10.2010, Az. 25 Qs 10 Js 1977/08-177/10). Mit Anklageschrift vom 08. Dezember 2008 hat die Beschwerdeführerin dem Angeschuldigten vorgeworfen, am 26. und 27. August 2008 das Haus I-Straße in X aufgesucht zu haben, um sich mit seinem Laptop mittels einer drahtlosen Netzwerkverbindung in das offene und über einen WLAN-Router betriebene Funknetzwerk des Zeugen J einzuwählen. Dabei habe er beabsichtigt, die Internetnutzung ohne Zahlung eines Entgeltes zu erlangen.
Die Entscheidung:
Das vorgeworfene Einwählen in das unverschlüsselt betriebene Funknetzwerk des Zeugen J erfüllt nach Ansicht des LG Wuppertal keinen Straftatbestand.
Insbesondere eine Strafbarkeit nach §§ 89 S. 1, 148 Abs. 1 Nr. 1 TKG (Abhören von Nachrichten) komme nicht in Betracht.
Zwar werde jedem Computer, der sich in ein unverschlüsselt betriebenes WLAN einwählt, von dem im WLAN-Router befindlichen DHCP (dynamic host configuration protocol) Server automatisch eine freie, interne (private) IP-Adresse zugeteilt. Dieser von dem Angeschuldigten ausgelöste Vorgang erfülle jedoch nicht die Voraussetzungen eines strafbaren Abhörens von Nachrichten nach §§ 89 S. 1, 148 Abs. 1 Nr. 1 TKG. Unter Abhören sei das unmittelbare Zuhören oder das Hörbarmachen für andere, aber auch das Zuschalten einer Aufnahmevorrichtung zu verstehen. Dies erfordere jedenfalls einen zwischen anderen Personen stattfindenden Kommunikationsvorgang, den ein Dritter als Täter mithöre. Es müsse ein bewusster und gezielter Empfang durch den Täter gegeben sein, um von einem Abhören von Nachrichten sprechen zu können. Das notwendige Empfangen der IP-Adresse stellt ein solches Abhören fremder Nachrichten gerade nicht dar, denn hierdurch wird die Vertraulichkeit fremder Kommunikation nicht angegriffen
Das vorgeworfene Einwählen in das unverschlüsselt betriebene WLAN-Netz mit dem Zweck der Mitbenutzung des Internetzuganges des Zeugen J erfüllt auch nicht den Tatbestand des unbefugten Abrufens oder Verschaffens personenbezogener Daten, §§ 43 Abs. 2 Nr. 3, 44 BDSG.
Demnach macht sich strafbar, wer unbefugt personenbezogene Daten, die nicht allgemeinzugänglich sind, in der Absicht sich zu bereichern abruft. Bei dem Einwählen in ein unverschlüsselt betriebenes WLAN und der anschließend hierüber erfolgten Nutzung des Internetzuganges werden jedoch keine personenbezogenen Daten abgerufen. Personenbezogene Daten sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person, § 3 Abs. 1 BDSG. Die von dem WLAN-Router übermittelte interne IP-Adresse ist schon deshalb nicht personenbezogen, da sich mittels dieser keine natürliche Person bestimmen lässt. Vielmehr werden die zugeteilten Adressbereiche weltweit tagtäglich von unzähligen Endgeräten - allerdings jeweils in einem anderen, nach außen abgeschotteten privaten Netzwerk - verwendet. Aber auch die externe, dem Zeugen J für den Aufbau der Internetverbindung durch den Provider zugewiesene, IP-Adresse stellt für den Angeschuldigten kein personenbezogenes Datum dar. In der IP-Adresse selbst ist zunächst die den Internetanschluss betreibende Person nicht eindeutig bezeichnet. Auch ist diese Person für den Nutzer eines offenen WLANs normalerweise nicht anhand der externen IP-Adresse bestimmbar. Denn bestimmbar ist eine natürliche Person nur dann, wenn sie durch die das Datum abrufende Stelle mit den dieser zur Verfügung stehenden Mitteln identifiziert werden kann, wenn also die abrufende Stelle in der Lage ist, eine Beziehung zu der Person herzustellen. Zwar ist die einem Telekommunikationsanschluss zugewiesene externe IP-Adresse grundsätzlich geeignet, den Anschlussinhaber zu individualisieren. Eine solche Individualisierung erfordert jedoch eine nur dem Access-Provider vorliegende Datenbank mit den Bestandsdaten aller Anschlussinhaber. Da der Angeschuldigte auf diese Datenbank nicht zugreifen konnte und auch nicht ersichtlich ist, dass er auf andere Weise über zusätzliche Identifizierungsmerkmale verfügen konnte, stellt die externe IP-Adresse für ihn kein personenbezogenes Datum dar.
Aus dem vorgeworfenen Einwählen in das Netzwerk in der Absicht, einen fremden Internetanschluss zu nutzen, ergibt sich schließlich auch keine Strafbarkeit wegen eines versuchten Computerbetruges gemäß §§ 263a, Abs. 1, Abs. 2, 263 Abs. 2 StGB.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist das Merkmal der Unbefugtheit betrugsspezifisch auszulegen. Unbefugt ist die Verwendung, wenn sie gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte. An einer solchen täuschungsgleichen Handlung fehlt es. Bei einem unverschlüsselt betriebenen WLAN wird dem Client durch den Router automatisch eine interne IP-Adresse zugewiesen. Da hierbei eine wie auch immer geartete Prüfung einer Zugangsberechtigung - anders als bei dem Betrieb eines verschlüsselten WLANs - durch den Router nicht vorgenommen wird, kommt dem mit dem Einwählen verbundenen Verwenden der erhaltenen IP-Adresse kein Täuschungswert zu.
Bewertung:
Die Entscheidung des LG Wuppertal ist zutreffend. Dennoch sollte die Entscheidung nicht darüber hinwegtäuschen, dass die unbefugte Verwendung eines verschlüsselten WLan-Anschlusses anders zu beurteilen ist. Wer hier Anstrengungen übernimmt, um die Verschlüsselung zu umgehen, kann daher durchaus auch strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.
Dr. Robert Kazemi