OLG Celle: Mitgliederwerbung einer gesetzlichen Krankenkasse
Mit Urteil vom 09.09.2010 (Az. 13 U 173/09) hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Celle mit der Zulässigkeit einer Mitgliederwerbung einer gesetzlichen Krankenkasse befasst. Im Einzelnen war streitig, ob die irreführende Werbeaussage der Krankenkasse nach wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten (§ 5 UWG) durch einen Wettbewerbsverband untersagt werden kann. Das OLG bejaht diese Möglichkeit und sieht das UWG auch im Wettbewerb zwischen privaten und gesetzlichen Kassen als anwendbar an.
Der Fall:
Der Kläger, zu dessen Mitgliedern u. a. die Industrie- und Handelskammern sowie eine große Anzahl privater Krankenkassen gehören, nimmt die Beklagte, eine gesetzliche Krankenkasse, auf Unterlassung einer irreführenden Mitgliederwerbung in Anspruch. Die Beklagte lehnt die Ab-gabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ab. Nachdem sie im Rahmen eines einstweiligen Verfügungs-verfahrens bereits zur Unterlassung verpflichtet wurde, verfolgt der Kläger seine Ansprüche im Rahmen des Hauptsacheverfahrens weiter. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass der Rechtsstreit in die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit falle, zudem sei sie als hoheitlich Handelnde mangels Gewinnerzielungsabsicht nicht als „Gewerbetreibende" i. S. des Art. 2 lit. b) UGP-Richtlinie anzusehen.
Die Entscheidung:
Die Zivilgerichtsbarkeit ist zur Entscheidung des Rechts-streits zuständig. Ein anderes ergibt sich insbesondere nicht aus § 51 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 1 SGG. Zwar ist für Streitigkeiten zwischen gesetzlichen Krankenkassen über die Zulässigkeit von Maßnahmen der Mitgliederwerbung nach § 51 Abs. 1 SGG der Rechtsweg zu den Sozial-gerichten eröffnet, der Streit wird vorliegend jedoch nicht zwischen solchen ausgetragen. Da der Streit zudem keine Maßnahmen betrifft, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem SGB V obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen, sondern ausschließlich Verstöße gegen wettbewerbsrechtlichen Normen (hier § 5 Abs. 1 UWG) geltend gemacht werden, deren Beachtung auch jedem privaten Mitbewerber obliegt, handelt es sich nicht um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 1 SGG. Nach Ansicht des OLG unterfällt der Rechtsstreit auch dem UWG, insbesondere sind die Beklagte als „Gewerbetreibende" und die beanstandete Handlung als „geschäftliche Handlung" im Sinne des Art. 2 lit. d) UGP-Richtlinie anzusehen. Die beanstandete Werbemaßnahme weist einen unmittelbaren Bezug zur Absatzförderung auf. Sie ist daher eine Geschäftspraktik und damit zugleich eine „geschäftsähnliche Handlung". Im Hinblick auf die konkret beanstandete Tätigkeit ist die Beklagte auch „Gewerbetreibende". Denn die Beklagte hat - auch wenn sie als juristische Person des öffentlichen Rechts Teil der mittelbaren Staatsverwaltung ist und öffentlich-rechtlich geregelten Krankenversicherungsschutz gewährt - mit der beanstandeten Werbeinformation nicht zu sozialen, sondern zu wirtschaftlichen und damit zu unternehmerischen Zwecken gehandelt.
Bewertung:
Erst unter dem 28.09.2010 (Az. B 1 SF 1/10 R; B 1 SF 2/10 R; B 1 SF 3/10 R) hat das BSG entschieden, dass für Klagen der Krankenkassen gegen Auskunftsbeschlüsse des BKartA wegen des hiermit verbundenen Eingriffs in das Selbstverwaltungsrecht der Krankenkassen die Sozial-gerichtsbarkeit zuständig sei. Mit Urteil vom 09.06.2009 (Az. 4 U 70/09) entschied das OLG Hamm, dass § 69 SGB V es ausschließe, Handlungen der Krankenkassen und der von ihnen eingeschalteten Leistungserbringer, die der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags gegenüber den Versicherten dienen sollen (hier: § 73 c SGB V), nach UWG zu beurteilen. Der öffentlich-rechtliche Regelungs- und Gestaltungsbereich sei hier aus dem „freien Spiel der Kräfte" herausgelöst und stehe nicht mehr zur isolierten Beurteilung des Wettbewerbsrechts an. Fragen der Rechtswegzuständigkeit gewinnen damit in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten mit Berührungspunkten zur GKV zunehmend an Bedeutung. Zentrale, vor jeder wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung zu prüfende Normen sind § 51 SGG und § 69 SGB V. Nur (noch) soweit ausschließlich auf Normen des UWG und nicht (!) auch auf andere Marktverhaltensregelungen (§ 4 Nr. 11 UWG) zurückgegriffen wird, sind die Anwendbarkeit des UWG und die Entscheidungsbefugnis der ordentlichen Gerichtsbarkeit noch gegeben.
Dr. Robert Kazemi