OLG Düsseldorf: Sektorenübergreifende Versorgung –Kopfgeld für Patienten unzulässig
In den letzten Wochen ist sie in aller Munde, die sog. „sektorenübergreifende Versorgung", vorschnell allzu oft und zu pauschal als Bestechung niedergelassener Ärzte durch Krankenhäuser bezeichnet („Zuweiserkartell" oder „Patientenkopfgeld"). Dass die sektorenübergreifende Versorgung für das Gesundheitssystem und die Patienten auch Vorteile haben kann, wird dabei leider oftmals übersehen. Über ein Negativbeispiel der Sektorenübergreifenden Versorgung hatte aktuell das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf zu entscheiden (Urteil vom 01.09.2009 - I-20 U 121/08).
Der Fall:
Die Beklagte zu 1. betreibt das M.H.-Krankenhaus, der Beklagte zu 2. ist der Chefarzt in dessen chirurgischer Abteilung.
Die Beklagte zu 1. bietet niedergelassenen Ärzten den Abschluss eines Vertrages über eine "Sektorenübergreifende Versorgung" an. Hiernach verpflichten sich das Krankenhaus und die Vertragsärzte zu einer medizinisch abgestimmten, arbeitsteiligen Behandlung von Patienten, bei denen eine vor- oder nachstationäre Behandlungsnotwendigkeit besteht. Dieser Kooperation soll den Interessen der Patienten dienen, da koordinierte Behandlungsabläufe die Versorgungsqualität erhöhen und ferner mit dem Vorteil für den Patienten verbunden sind, länger im häuslichen Umfeld zu bleiben. Zugleich erzeugt die Kooperation wirtschaftliche Synergieeffekte, die den Vertragspartnern einen noch wirtschaftlicheren Ressourceneinsatz ermöglichen soll.
Im Rahmen der Kooperation beauftragt das Krankenhaus Vertragsärzte mit der Durchführung von prä- und poststationären Leistungen, die im Zusammenhang mit einer stationären Behandlung im Krankenhaus notwendig sind, wobei das Krankenhaus über den Umfang der im konkreten Behandlungsfall durch den Vertragsarzt zu erbringenden Leistungen entscheidet und diese koordiniert.
Nach den Bestimmungen des Vertrages empfiehlt der Vertragsarzt dem Patienten, für den er die Indikation für eine stationäre Behandlung gestellt hat, die Vorstellung im Krankenhaus der Beklagten zu 1. Das Krankenhaus nimmt den Patienten als Behandlungsfall an, wenn es die Indikation zur stationären Behandlung bestätigt und der Patient sein schriftliches Einverständnis gegeben hat. Das Krankenhaus beauftragt den Vertragsarzt, der die Indikation gestellt hat, mit den im konkreten Behandlungsfall notwendigen prästationären Leistungen durch Übersendung der Patientenakte und informiert den Patienten. Auch soweit poststationäre Leistungen erforderlich sind, beauftragt das Krankenhaus hiermit den Vertragsarzt, der die Indikation gestellt hat.
Für die von ihnen erbrachten prä- und poststationären Leistungen zahlt die Beklagte zu 1. (Krankenhaus) an die Ärzte eine Vergütung die im Vertrag näher bestimmt wird. Mit dieser Vergütung sind alle beim Vertragsarzt mit der Leistungserbringung verbundenen Kosten, einschließlich derjenigen für Verbrauchsmaterialien, abgegolten.
Der Kläger, ein Zusammenschluss sog. Knappschaftsärzte, hält den Abschluss solcher Verträge für wettbewerbswidrig, denn der Vertrag sei darauf angelegt, den teilnehmenden Ärzten ein "Kopfgeld" für die Überweisung von Patienten zur stationären Behandlung im Rahmen der Viszeralchirurgie, insbesondere Schilddrüse, Cholezystektomie, inguinalen und femoralen Hernioplastik, Nabelhernie, Hiatushernie, kolorektalen Tumore, Divertikulose, Hämorrhoiden, perianalen Fisteln und Magenkarzinom, zu zahlen. Dies komme in der Zielsetzung der MVG O auch zum Ausdruck, wo offen ausgeführt werde, dass für die teilnehmenden Hausärzte eine Honorierung der bisher oft intrabudgetär erbrachten Leistungen resultiere. Alle Beteiligten gewännen zudem durch den Marketingeffekt eine stärkere Bindung der Patienten an den einweisenden Arzt und die Klinik. Dies sei weder mit § 31 der Berufsordnung der Ärzte, der dem Arzt eine Vorteilsannahme für die Zuweisung von Patienten verbiete, noch mit § 1 Abs. 1 GOÄ zu vereinbaren. Die Art der vereinbarten Zusammenarbeit widerspreche auch §§ 140a ff. SGB V. Denn mit der Überweisung des Patienten an das Krankenhaus sei die Behandlungszuständigkeit des Hausarztes beendet. Für die prä- und poststationäre Behandlung, insbesondere die präoperative Diagnostik, sei die Klinik selbst und nicht der Hausarzt zuständig. Gleiches gelte insbesondere auch für die poststationären Untersuchungen.
Die Entscheidung:
Das Landgericht hat die Beklagte zu 1. zur Unterlassung des Abschlusses von Verträgen mit den wiedergegeben Regelungen sowie zur Unterlassung der Zahlung pauschaler Rechnungsbeträge nach diesen Regelungen verurteilt. Den Beklagten zu 2. hat es zur Unterlassung der Mitwirkung bei der Anbahnung oder dem Abschluss entsprechender Verträge verurteilt.
Das OLG Düsseldorf hat die hiergegen gerichtete Berufung des Krankenhausträgers und des Chefarztes zurückgewiesen.
Das OLG sah in dem Abschluss des Vertrages über die "sektorenübergreifende Versorgung" eine Beihilfe zu einem Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 1 UWG, weil der Vertrag ein Verhalten des Vertragsarztes ermöglicht, welches sich als unangemessener Druck auf seine Patienten darstellt, sich zur stationären Behandlung in das Haus der Beklagten zu begeben.
Der Vertragsarzt sei nach den Bestimmungen des Vertrages dazu verpflichtet, seinen Patienten die Vorstellung im Krankenhaus zu empfehlen. Da jede Empfehlung, die er ausspricht, für einen erheblichen Teil seiner Patienten einen Druck schaffe, dem sie sich nur schwer entziehen können, würden vielen Patienten dieser Empfehlung bereits aus dem Grunde nachkommen, weil sonst zu befürchten sei, dass es im sonstigen Behandlungs- und Vertrauensverhältnis zum Vertragsarzt zu Spannungen kommen könnte.
Ein solcher Druck sei jedoch nur dann angemessen, wenn die Empfehlung allein auf ärztlichen Erwägungen im Hinblick auf die Bedürfnisse des konkret beratenen Patienten ausgesprochen werde (vgl. BGH, GRUR 2005, 1059, 1060 - Quersubventionierung von Laborgemeinschaften). Eine wie auch immer geartete Verpflichtung des Arztes zur Empfehlung eines bestimmten Hauses lasse aber immer einen Druck befürchten, der unangemessen sei. Denn es sei gerade nicht zu erwarten, dass die im angegriffenen Vertrag vorgesehene Empfehlung immer nur dann ausgesprochen werde, wenn sie nach den Bedürfnissen der Patienten ohnehin die allein richtige ist.
Hinzu komme, dass der Vertrag über die "Sektorenübergreifende Versorgung" einen finanziellen und damit eindeutig sachfremden Anreiz zur Empfehlung des Krankenhauses setze. Nach seinen Bestimmungen beauftragt das Krankenhaus den Vertragsarzt, der die Indikation gestellt hat, mit den im konkreten Behandlungsfall notwendigen prä- bzw. poststationären Leistungen. Die vorgesehene Vergütung ist dabei an die Sätze der GOÄ angelegt und damit für den Vertragsarzt besonders attraktiv. Die gewährte Vergütung sei nämlich höher als die seitens der GKV zu entrichtenden Behandlungspauschalen, zudem finde keine Anrechnung auf das Budget statt, was das Risiko einer finanziell nachteiligen Budgetüberschreitung reduziere. Es sei daher „ohne weiteres damit zu rechnen", dass zumindest ein erheblicher Teil der Ärzte bei mehreren in Betracht kommenden, qualitativ gleichwertigen Alternativen seinem Patienten diejenige empfehlen wird, von der er selbst einen wirtschaftlichen Vorteil habe. Im Urteil heißt es wörtlich: „Die Annahme, sie [das Krankenhaus] sei gleichwohl davon ausgegangen, die teilnehmenden Ärzte würden ihre Empfehlung ausschließlich nach medizinischen Gesichtspunkten treffen, ist lebensfremd."
Schließlich ergebe sich der Unterlassungsanspruch auch aus einem Verstoß gegen § 31 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte. Nach dieser Vorschrift ist es Ärzten nicht gestattet, sich für die Zuweisung von Patienten ein Entgelt oder einen anderen Vorteil versprechen oder gewähren zu lassen. Ein solcher Vorteil müsse jedoch in dem prä- und postoperativen Behandlungsauftrag des Krankenhauses an den Niedergelassenen gesehen werden.
Praxistipp:
Die vorstehende Entscheidung zeigt, dass die in der Öffentlichkeit derzeit heftig diskutierten „Kopfgeldprämien" für die Zuweisung von Patienten in Krankenhäuser leider kein Schreckengespenst sind. Derartige Modelle existieren. Die Entscheidung des OLG zeigt jedoch auch, die Schwierigkeiten, die derartige Vereinbarungen für alle Vertragsparteien mit sich bringen können. Allein der Abschluss eines „offiziellen" Vertrages qualifiziert ein derartiges Modell nicht als rechtmäßig, vielmehr ist die Ausgestaltung des Vertrages entscheidend. Immer dort, wo die Entgeltkomponente aus Sicht des Vertragsarztes zumindest auch einen Motivationsgrund liefern kann, ist Vorsicht geboten. Sicherlich, auch dies kann nicht von der Hand gewiesen werden, können sich aus der vom Gesetzgeber im Übrigen auch gewollten und forcierten Vernetzung des stationären und des ambulanten Sektors auch erhebliche Vorteile aus Patientensicht ergeben. Sicherlich ließen sich durch eine derartige Verzahnung auch Kostendämpfungseffekte erzielen. Trotzdem muss auch hier die medizinische Motivation ausschlaggebend bleiben.
Dr. Robert Kazemi