OLG Hamburg: Medikamente mit Nebenwirkungen, die in ca. 10 % aller Fälle auftreten, sind nicht hervorragend lokal verträglich
Mit jetzt bekannt gewordenem Urteil hat das OLG Hamburg die Werbung für ein Medikament zur Behandlung des erhöhten Augeninnendrucks bei Patienten mit Glaukom (grüner Star) mit der Aussage, dieses verfüge über eine „hervorragende lokale Verträglichkeit" mit Blick auf die Irreführungsvorschriften des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) sowie das Heilmittelwerbegesetz (HWG) untersagt (OLG Hamburg, Urteil vom 28. Januar 2010, 3 U 102/09).
Das später Inanspruchgenommene Pharmaunternehmen bewarb sein Medikament mit der Beschreibung „Hervorragende lokale Verträglichkeit", obwohl - was insoweit unstreitig ist - nach der Fachinformation bei der Anwendung des Präparates „sehr häufig", d.h. bei mehr als 10 % der Patienten, folgende Augenerkrankungen als Nebenwirkungen auftreten: Brennen und Stechen. Ferner treten häufig, d.h. bei 1 % bis 10 % der Patienten, u.a. konjunktivale Injektion, Verschwommensehen, Hornhauterosion, Jucken der Augen und Tränen auf.
Ein Mitbewerber sah hierin eine Irreführungsgefahr für die mit der Werbung ausschließlich angesprochenen medizinischen Fachkreise (Augenärzte). Das OLG gab dem Mitbewerber nunmehr Recht.
Nach Ansicht des Senates, der etwas überraschend, die Verkehrsauffassung der angesprochenen Augenärzte selbst beurteilt hat, sah die Gefahr, dass Ärzte mit dem Wort „hervorragend" dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend mehr als nur einen qualitativen Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb, nämlich die Bedeutung „ausgezeichnet, blendend, meisterhaft, vortrefflich" verbänden, was mit Blick auf die Nebenwirkungen und ihre Häufigkeit nicht zutreffe.
Unter Bezugnahme auf den Duden müsse „hervorragend" seinem Wortsinn nach nicht ausschließlich eine auf etwaige Vergleichsprodukte bezogene, also relative Bedeutung dergestalt haben, dass das Produkt sich aus dem „gegenständlich flacheren Umfeld oder im übertragenen Sinne aus der Masse oder der im sonstigen sprachlichen Umfeld angeführten Gesamtheit deutlich abhebt", sondern auch eine absolute, bewertende Aussage im Sinne von „ausgezeichnet, blendend, meisterhaft, vortrefflich" beinhalten kann. Es erscheine auch überwiegend wahrscheinlich, dass die angesprochenen Verkehrskreise die beanstandete Angabe vorliegend in diesem Sinne eines Tatsachenkerns, also bezogen auf die Nebenwirkungsfrequenz, verstehen.
Der Senat ist weiter der Auffassung, dass aus der Perspektive zumindest eines wettbewerbsrechtlich hinreichend relevanten Anteils des angesprochenen Fachpublikums das Werturteil „hervorragend lokal verträglich" das Auftreten „häufiger" lokaler Nebenwirkungen ausschließt. Denn das Auftreten von Nebenwirkungen bei 1 bis 10 % der Patienten bzw. einer Summe von Nebenwirkungen von 10,9 % sei mit dem herkömmlichen (absoluten) Wortsinn von „hervorragend" - „ausgezeichnet, blendend, meisterhaft, vortrefflich" - nicht vereinbar.
Bewertung:
Die Entscheidung des OLG Hamburgs überzeugt nach hiesiger Auffassung nicht. Insbesondere, dass der Senat es nicht für notwendig erachtet, das Verkehrsverständnis der hier angesprochenen Fachkreise, genauer der Augenärzte, entsprechend gutachterlich feststellen zu lassen, macht den Urteilsspruch angreifbar. Zudem berücksichtigt das OLG nicht hinreichend, dass Ärzte nach Ansicht des Bundesgerichtshofes (BGH) verpflichtet sind, über schwerwiegende Nebenwirkungen von verordneten Medikamenten zu informieren. Es ist daher mehr als unwahrscheinlich, dass ein „Großteil" der angesprochenen Fachkreise (Augenärzte) tatsächlich allein aufgrund der überspitzen Werbeaussage des Pharmaunternehmens tatsächlich und ohne Kenntnisnahme der Packungsbeilage dazu verleitet wird, das hier im Streit stehende Medikament zu verschreiben. Genau das Gegenteil kann - so jedenfalls die Ansicht des Unterzeichners - von einem gewissenhaften Arzt verlangt werden. Es ist auch davon auszugehen, dass dies auch in der Praxis so gehandhabt wird.
Dr. Robert Kazemi