OLG Hamburg: Rechtswidrigkeit des Bonusmodells von DocMorris für verschreibungspflichtige Arzneimittel
Um die niederländische Versandapotheke DocMorris wird es auch nach Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Fremdbesitzverbot für Apotheken nicht ruhig. Dies mag auch an der aus Sicht der deutschen Apotheker als aggressiv anmutenden Werbestrategie der niederländischen Versandapotheke liegen. Eine dieser Strategien ist nunmehr Gegenstand einer aktuellen Entscheidung des Oberlandesgerichtes (OLG) Hamburg vom 25. März 2010 (AZ: 3 U 126/09).
Der Fall:
Die Beklagte, ein großes deutsches Versandhandelsunternehmen, warb Ende April für die niederländische Versandapotheke 0800 DocMorris N.V. (nachfolgend DocMorris). In der angegriffenen Werbebroschüre hieß es u. a. „... empfiehlt DocMorris" und „Sparen Sie heute 100 % Ihrer Zuzahlung" und „Sparen auf Rezept" und „100 % Sparen auf Rezept". Danach sollten gesetzlich Versicherte bei einer Erstbestellung für jedes Medikament ihres Kassenrezeptes einen „Sofort-Bonus in Höhe ihrer kompletten Zuzahlung" erhalten und „bei jedem Medikament bis zu 10,00 Euro!" sparen. Bei allen nachfolgenden Bestellungen sollte der „Sofort-Bonus immer 50 %" der Zuzahlung betragen. Die von der Zuzahlung befreiten gesetzlichen Versicherten, sollten bei einer Erstbestellung eine Gutschrift in Höhe des 100 %-Bonus auf ein Sammelkonto erhalten. Bei allen weiteren Bestellungen sollte der Sofort-Bonus 50 % betragen. Sobald auf dem Sammelkonto ein Betrag von 30,00 Euro erreicht war, sollte der Betrag an den Versicherten überwiesen werden. Im Hinblick auf Privatversicherte wurde ausgeführt, dass diese „ebenfalls Plus" machen könnten. Sie sollten bei einer Erstbestellung für jedes rezeptpflichtige Medikament (ausgenommen Lifestyle-Präparate) einen Treue-Bonus von 5,00 Euro erhalten. Bei allen weiteren Bestellungen sollte der Treuebonus 3,00 Euro betragen. Auch diese Beträge sollten auf einem Sammelkonto angespart und ab einem Betrag von 30,00 Euro ausgezahlt werden.
Der Kläger, ein Landesapothekerverband, hielt diese Werbung aus verschiedenen Gesichtspunkten für rechtswidrig. So unterlaufe das Angebot von Bonuszahlungen und Ersparnissen den einheitlichen Apothekenabgabepreis gemäß § 78 Abs. 2 S. 2 AMG. Ein Modell, mit dem im preisgebundenen Rahmen finanzielle Anreize für den Bezug von Arzneimitteln bzw. die Einlösung von Rezepten geschaffen werde, sei rechtswidrig und unlauter. Die Regelungen des § 78 AMG und die darauf beruhende Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) sowie die Regelungen des SGB V seien auch von ausländischen Versandapotheken, welche die Versorgung von in Deutschland ansässigen Patienten mit in Deutschland zugelassenen Arzneimitteln durchführten, einzuhalten.
Zudem sei das beworbene Bonussystem auch ein Verstoß gegen § 7 HWG, nachdem für verschreibungspflichtige Arzneimittel gerade nicht mit Boni jeder Art geworben werden dürfe.
Die Entscheidung:
Wie bereits das Landgericht (LG) Hamburg hat nunmehr auch das OLG Hamburg DocMorris dazu verurteilt, derartige Werbungen in Deutschland nicht mehr vorzunehmen.
Das von der Beklagten DocMorris-Angebot stelle einen Verstoß gegen die AMPreisV dar. Auch der niederländische Anbieter DocMorris sei dazu verpflichtet, die deutschen Arzneimittelpreisvorschriften bei einem Vertrieb nach Deutschland einzuhalten; hieran ändern auch Vorgaben des Europarechtes nichts.
Das OLG führt zunächst aus, dass der auf Grundlage des § 78 AMG in Verbindung mit §§ 1 und 3 der AMPreisV normierte einheitliche Apothekenabgabenpreis auch dann verletzt werde, wenn für ein preisgebundenes Medikament zwar der korrekte Preis angesetzt, dem Kunden aber unmittelbar gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Boni gewährt werden, sei es in Form reduzierter Zahlung, sei es in Form von überwiesenen oder ausgezahlten Geldbeträgen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten sei DocMorris auch an die Vorschriften der deutschen AMPreisV gebunden, da die Preisbindungsregelung als international zwingende Eingriffsnorm im Sinne des Art. 34 EGBGB auch für den grenzüberschreitenden Versandhandel gelten.
Welches Recht auf die Verträge zwischen der Internetapotheke DocMorris und ihren Kunden anzuwenden sei, könne insbesondere nicht durch eine Rechtswahlklausel (auf das niederländische Recht) umgegangen werden, denn bei der AMPreisV handele es sich um zwingendes öffentliches Recht, das vom sogenannten Vertragsstatut nicht erfasst sei. Als öffentlich-rechtliche Verordnung regelt die Arzneimittelverordnung nicht reines Vertragsrecht, sondern stelle zwingendes Preisrecht dar, indem sie den Preis jedenfalls für verschreibungspflichtige Medikamente verbindlich festlegt. Zwar wirke sie sich auch auf die Verträge zwischen dem Anbieter DocMorris und seinen Kunden aus, doch ist primäres Ziel der Preisbindung nicht die Herstellung eines Gleichgewichtes zwischen den Vertragspartnern, sondern vielmehr die im öffentlichen Interesse liegende Verhinderung eines Preiswettbewerbes der Apotheken untereinander mit schweren Folgen für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.
Die Anwendung der AMPreisV auf den grenzüberschreitenden Versandhandel sei daher zur Erreichung eines effektiven Gesundheitsschutzes erforderlich. Dabei sei zu beachten, dass der EuGH den Mitgliedstaaten eine Einschätzungsprärogative zubilligt hinsichtlich der Frage, auf welchem Niveau und auf welchem Wege sie den Gesundheitsschutz ihrer Bevölkerung sicherstellen wollen. Der deutsche Gesetzgeber habe sich zum Schutz der Gesundheit aus nachvollziehbaren Gründen für ein Festpreissystem entschieden, das auch ausländische Versandapotheken, die auf dem deutschen Markt tätig werden, bindet. Könnten im grenzüberschreitenden Versandhandel Medikamente zu günstigeren als zu den festgelegten Preisen angeboten werden, so bestünde die Gefahr einer Verdrängung von Präsenzapotheken, da die Kunden aus Preisgründen die Versandhandelsapotheken privilegieren. Dies wiederum würde die flächendeckende und vor allem orts- und zeitnahe Versorgung der Bevölkerung insbesondere in ländlichen Gegenden gefährden.
Zudem solle durch die Festpreisregelung verhindert werden, dass Verbraucher vor dem Erwerb eines verschreibungspflichtigen Medikamentes Preisvergleiche zwischen den Apotheken anstellen, da der dabei entstehende Zeitverlust gerade bei ernsthaften Krankheiten eine Gefahr für die Gesundheit darstellen könne. Zu beachten sei, dass die Festpreisregelung von vorneherein nur für rezeptpflichtige Medikamente gelte, also solche, die wegen des ihnen innewohnenden Gefährdungspotenzials in der Regel nur zur Behandlung schwerwiegender Krankheiten eingesetzt würden.
Für eine Rechtfertigung spricht zudem die Tatsache, dass der EuGH im Fall DocMorris sogar ein generelles Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten für zulässig erachtet habe, so dass die bloße Bindung ausländischer Versandapotheken an die AMPreisV als milderes Mittel jedenfalls verhältnismäßig sei.
Bewertung:
Die vorliegende Entscheidung kann als weiterer Rückschlag der Versandhandelsapotheke DocMorris im Kampf für ein liberales Apothekensystem innerhalb der Europäischen Union und ganz besondere innerhalb der Bundesrepublik Deutschland gewertet werden. Auch wenn es sinnvoll erscheint, dass festgefahrene und kostenintensive Festpreissysteme im deutschen Arzneimittelmarkt durch eine entsprechende Liberalisierung zu lockern, kann die Entscheidung des OLG Hamburg im Ergebnis als zutreffend bewertet werden. Es ist allgemein anerkannt, dass Beschränkungen der Waren- und Dienstleistungsfreiheit innerhalb des europäischen Verkehrsraumes dann gerechtfertigt sein können, wenn der Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter, wie hier der Volksgesundheit, zur Debatte steht. Es ist dementsprechend Aufgabe des Gesetzgebers festzulegen, welche Formen der Werbung zulässig sein sollen und welche nicht. Die von der Firma DocMorris gewünschte Liberalisierung wird sich dementsprechend kaum auf gerichtlichem Wege herleiten lassen; hierzu ist vielmehr allein der bundesdeutsche Gesetzgeber berufen. Dass auch hier die Notwendigkeit erkannt wurde, dass Arzneimittelpreissystem neu zu strukturieren, ist hinlänglich bekannt; aus Sicht des Unterzeichners kann es dementsprechend nur eine Frage der Zeit sein, bis auch im Apothekenmarkt eine Liberalisierung von Gesetzeswegen eingeführt wird. Bis zu diesem Zeitpunkt ist es - zur Enttäuschung aller Verbraucher, die beim Kauf von Arzneimitteln „sparen" wollen - weiterhin als unzulässig zu betrachten, derartige Bonussysteme für den Verkauf von preisgebundenen Arzneimitteln zu etablieren.
Dr. Robert Kazemi