OLG Koblenz: Zur Neutralitätspflicht von Sachverständigen - Auch einseitiger Internetauftritt kann Besorgnis der Befangenheit begründen
"Wenn ein medizinischer Sachverständiger auf seiner Homepage ganz offensichtlich seine Patientennähe hervorhebt und massiv die kritische Distanz zu Klinikbetreibern betont, so kann dies die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen im Gerichtsverfahren unter Beteiligung von Klinikbetreibern begründen", heiß es in einer aktuellen Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Koblenz (OLG Koblenz, Beschluss v. 24.01.2013, 4 W 645/12).
Der Fall:
Ein Sachverständiger war durch das Gericht mit der Begutachtung in Bezug auf einen vermeintlichen Behandlungsfehler einer Mainzer Klinik beautragt worden. Auf seiner Homepage hatte der Sachverständige "ausdrücklich und mehrfach seine Patientennähe" hervorgehoben und damit nach Ansicht der Koblenzer Richter "erkennbar und grundsätzlich" zu verstehen gegeben, dass es ihm nicht darum gehe, "eine kritische Distanz zu den Klinikbetreibern zu dokumentieren, denen er pauschal organisatorische Mängel, Behandlungsfehler und Gewinnstreben unterstelle". Die Homepage sei, so das OLG weiter "geprägt von seiner veröffentlichten Meinung, infolge einer zu missbilligenden, am Gewinnstreben orientierten schlechten Organisation der Patientenversorgung in Krankenhäusern und Arztpraxen komme es zu Patientenschädigungen. Die Überschrift „Patientensicherheit vs. Sparen" präsentiere er dabei als „Grundidee". Auf nahezu allen Seiten der Internetpräsenz fänden sich Darstellungen dieser Problematik, ausschließlich mit der Maßgabe, der Fehler liege auf Behandlungsseite."
Bewertung:
Sachverständige und Gutacher vor Gericht trifft - wie den Richter auch - eine besondere Verpflichtung zu unparteiischem Verhalten. Lassen sie diese Neutralität vermissen, rechtfertigt dies ihre Ablehnung im Prozess. Die stellt § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO klar, wonach alein "die Besorgnis der Befangenheit" ausreichend für eine Ablehnung ist. Daher rechtfertigt bereits der auf Tatsachen gestützte Anschein der Parteilichkeit die Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit. Das OLG Koblenz betont, dass in diese Wertung dabei nicht nur das konkrete Auftreten von Gericht, sondern auch andere äußere Umstände einzubeziehen sind, die sich - wie vorliegend - beispielsweise aus dem Internetauftritt des Sachverständigen ergeben können. Zeigt sich hier eine bewusste und veröffentlichte Hinwendung ausschließlich zu den Interessen einer Partei (hier der Patientenseite) und gleichzeitig eine erkennbare Distanz zu den den Interessen der anderen Partei (hier den Klinikbetreibern), sei der Sachverständige in einem gerichtlichen Verfahren nicht mehr als unvoreingenommen anzusehen.
Sachverständige sollten ihren Internetauftritt vor dem Hintergund des Beschlusses des OLG Koblenz dringend und kritisch überprüfen. Denn, hat die Ablehnung wegen Befangenheit Erfolg, so darf eine entsprechende gutachtliche Stellungnahme im Prozess nicht verwertet werden und droht dem Sachverständigen ein Verlust seiner nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) vorgesehenen Vergütung. So verliert der Sachverständige seinen Vergütungsanspruch, wenn er die Unverwertbarkeit seines Gutachtens vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt hat. Lassen Sie sich als Sachverständiger also beraten!
Dr. Robert Kazemi